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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

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antwortet sich, wenn wir einen Blick in "die
"Oekonomie der Natur des menschlichen
"Geschlechts
" thun, von selbst, und wer kann
nun die vorigen Predigten aushalten?

Jsts denn nicht Gesetz, und Verewigung gnug,
diese Familienfortbildung der Sprache? Das
Weib, in der Natur so sehr der schwächere Theil,
muß es nicht von dem erfahrnen, versorgenden,
sprachbildenden Manne Gesetz annehmen? Ja
heißt Gesetz, was blos milde Wohlthat des Unter-
richts ist? Das schwache Kind, das so eigentlich
ein Unmündiger heißt, muß es nicht Sprache an-
nehmen, da es mit ihr die Milch seiner Mutter
und den Geist seines Vaters genießet? Und muß
diese Sprache nicht verewigt werden, wenn etwas
verewigt wird? O die Gesetze der Natur sind mäch-
tiger, als alle Conventionen, die die schlaue Po-
litik schließet, und der weise Philosoph aufzählen
will! Die Worte der Kindheit -- diese unsre frü-
hen Gespielen in der Morgenröthe des Lebens!
mit denen sich unsre ganze Seele zusammen bil-
dete -- wenn werden wir sie verkennen? Wenn
werden wir sie vergessen? Unsre Muttersprache

war

antwortet ſich, wenn wir einen Blick in „die
Oekonomie der Natur des menſchlichen
„Geſchlechts
„ thun, von ſelbſt, und wer kann
nun die vorigen Predigten aushalten?

Jſts denn nicht Geſetz, und Verewigung gnug,
dieſe Familienfortbildung der Sprache? Das
Weib, in der Natur ſo ſehr der ſchwaͤchere Theil,
muß es nicht von dem erfahrnen, verſorgenden,
ſprachbildenden Manne Geſetz annehmen? Ja
heißt Geſetz, was blos milde Wohlthat des Unter-
richts iſt? Das ſchwache Kind, das ſo eigentlich
ein Unmuͤndiger heißt, muß es nicht Sprache an-
nehmen, da es mit ihr die Milch ſeiner Mutter
und den Geiſt ſeines Vaters genießet? Und muß
dieſe Sprache nicht verewigt werden, wenn etwas
verewigt wird? O die Geſetze der Natur ſind maͤch-
tiger, als alle Conventionen, die die ſchlaue Po-
litik ſchließet, und der weiſe Philoſoph aufzaͤhlen
will! Die Worte der Kindheit — dieſe unſre fruͤ-
hen Geſpielen in der Morgenroͤthe des Lebens!
mit denen ſich unſre ganze Seele zuſammen bil-
dete — wenn werden wir ſie verkennen? Wenn
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[178/0184] antwortet ſich, wenn wir einen Blick in „die „Oekonomie der Natur des menſchlichen „Geſchlechts„ thun, von ſelbſt, und wer kann nun die vorigen Predigten aushalten? Jſts denn nicht Geſetz, und Verewigung gnug, dieſe Familienfortbildung der Sprache? Das Weib, in der Natur ſo ſehr der ſchwaͤchere Theil, muß es nicht von dem erfahrnen, verſorgenden, ſprachbildenden Manne Geſetz annehmen? Ja heißt Geſetz, was blos milde Wohlthat des Unter- richts iſt? Das ſchwache Kind, das ſo eigentlich ein Unmuͤndiger heißt, muß es nicht Sprache an- nehmen, da es mit ihr die Milch ſeiner Mutter und den Geiſt ſeines Vaters genießet? Und muß dieſe Sprache nicht verewigt werden, wenn etwas verewigt wird? O die Geſetze der Natur ſind maͤch- tiger, als alle Conventionen, die die ſchlaue Po- litik ſchließet, und der weiſe Philoſoph aufzaͤhlen will! Die Worte der Kindheit — dieſe unſre fruͤ- hen Geſpielen in der Morgenroͤthe des Lebens! mit denen ſich unſre ganze Seele zuſammen bil- dete — wenn werden wir ſie verkennen? Wenn werden wir ſie vergeſſen? Unſre Mutterſprache war

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/184>, abgerufen am 22.11.2024.