war ja zugleich die erste Welt, die wir sahen, die ersten Empfindungen, die wir fühlten, die erste Würksamkeit und Freude, die wir genossen! Die Nebenideen von Ort und Zeit, von Liebe und Haß, von Freude und Thätigkeit, und was die feurige, heraufwallende Jugendseele sich dabei dachte, wird alles mit verewigt -- nun wird die Sprache schon Stamm!
Und je Kleiner dieser Stamm ist, desto mehr gewinnt er an innerer Stärke. Unsre Väter, die nichts selbst gedacht, nichts selbst erfunden; die alles mechanisch gelernt haben -- was be- kümmern sich die um Unterricht ihrer Söhne? um Verewigung dessen, was sie ja selbst nicht besitzen? Aber der erste Vater, die ersten dürfti- gen Spracherfinder, die fast an jedem Worte die Arbeit ihrer Seele hingaben, die überall in der Sprache noch den warmen Schweiß fühlten, den er ihrer Würksamkeit gekostet -- welchen Jnfor- mator konnten die bestellen? Die ganze Sprache ihrer Kinder war ein Dialekt ihrer Gedanken, ein Loblied ihrer Thaten, wie die Lieder Oßi- ans auf seinen Vater Fingal.
Rous-
M 2
war ja zugleich die erſte Welt, die wir ſahen, die erſten Empfindungen, die wir fuͤhlten, die erſte Wuͤrkſamkeit und Freude, die wir genoſſen! Die Nebenideen von Ort und Zeit, von Liebe und Haß, von Freude und Thaͤtigkeit, und was die feurige, heraufwallende Jugendſeele ſich dabei dachte, wird alles mit verewigt — nun wird die Sprache ſchon Stamm!
Und je Kleiner dieſer Stamm iſt, deſto mehr gewinnt er an innerer Staͤrke. Unſre Vaͤter, die nichts ſelbſt gedacht, nichts ſelbſt erfunden; die alles mechaniſch gelernt haben — was be- kuͤmmern ſich die um Unterricht ihrer Soͤhne? um Verewigung deſſen, was ſie ja ſelbſt nicht beſitzen? Aber der erſte Vater, die erſten duͤrfti- gen Spracherfinder, die faſt an jedem Worte die Arbeit ihrer Seele hingaben, die uͤberall in der Sprache noch den warmen Schweiß fuͤhlten, den er ihrer Wuͤrkſamkeit gekoſtet — welchen Jnfor- mator konnten die beſtellen? Die ganze Sprache ihrer Kinder war ein Dialekt ihrer Gedanken, ein Loblied ihrer Thaten, wie die Lieder Oßi- ans auf ſeinen Vater Fingal.
Rouſ-
M 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0185"n="179"/>
war ja zugleich die erſte Welt, die wir ſahen,<lb/>
die erſten Empfindungen, die wir fuͤhlten, die<lb/>
erſte Wuͤrkſamkeit und Freude, die wir genoſſen!<lb/>
Die Nebenideen von Ort und Zeit, von Liebe und<lb/>
Haß, von Freude und Thaͤtigkeit, und was die<lb/>
feurige, heraufwallende Jugendſeele ſich dabei<lb/>
dachte, wird alles mit verewigt — nun wird <hirendition="#fr">die<lb/>
Sprache ſchon Stamm!</hi></p><lb/><p>Und <hirendition="#fr">je Kleiner</hi> dieſer Stamm iſt, deſto mehr<lb/><hirendition="#fr">gewinnt er an innerer Staͤrke.</hi> Unſre Vaͤter,<lb/>
die nichts ſelbſt gedacht, nichts ſelbſt erfunden;<lb/>
die alles mechaniſch gelernt haben — was be-<lb/>
kuͤmmern ſich die um Unterricht ihrer Soͤhne?<lb/>
um Verewigung deſſen, was ſie ja ſelbſt nicht<lb/>
beſitzen? Aber der erſte Vater, die erſten duͤrfti-<lb/>
gen Spracherfinder, die faſt an jedem Worte die<lb/>
Arbeit ihrer Seele hingaben, die uͤberall in der<lb/>
Sprache noch den warmen Schweiß fuͤhlten, den<lb/>
er ihrer Wuͤrkſamkeit gekoſtet — welchen Jnfor-<lb/>
mator konnten die beſtellen? Die ganze Sprache<lb/>
ihrer Kinder war <hirendition="#fr">ein Dialekt ihrer Gedanken,<lb/>
ein Loblied ihrer Thaten,</hi> wie die Lieder <hirendition="#fr">Oßi-<lb/>
ans</hi> auf ſeinen Vater <hirendition="#fr">Fingal.</hi></p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">M 2</fw><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">Rouſ-</hi></fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[179/0185]
war ja zugleich die erſte Welt, die wir ſahen,
die erſten Empfindungen, die wir fuͤhlten, die
erſte Wuͤrkſamkeit und Freude, die wir genoſſen!
Die Nebenideen von Ort und Zeit, von Liebe und
Haß, von Freude und Thaͤtigkeit, und was die
feurige, heraufwallende Jugendſeele ſich dabei
dachte, wird alles mit verewigt — nun wird die
Sprache ſchon Stamm!
Und je Kleiner dieſer Stamm iſt, deſto mehr
gewinnt er an innerer Staͤrke. Unſre Vaͤter,
die nichts ſelbſt gedacht, nichts ſelbſt erfunden;
die alles mechaniſch gelernt haben — was be-
kuͤmmern ſich die um Unterricht ihrer Soͤhne?
um Verewigung deſſen, was ſie ja ſelbſt nicht
beſitzen? Aber der erſte Vater, die erſten duͤrfti-
gen Spracherfinder, die faſt an jedem Worte die
Arbeit ihrer Seele hingaben, die uͤberall in der
Sprache noch den warmen Schweiß fuͤhlten, den
er ihrer Wuͤrkſamkeit gekoſtet — welchen Jnfor-
mator konnten die beſtellen? Die ganze Sprache
ihrer Kinder war ein Dialekt ihrer Gedanken,
ein Loblied ihrer Thaten, wie die Lieder Oßi-
ans auf ſeinen Vater Fingal.
Rouſ-
M 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/185>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.