Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

Gegenstände fortgesezt: ist der Anfang zur Spra-
che: unbeträchtlich? Und siehe! es ist nur das
Leben eines Einzigen Menschen!

Ein stummer Mensch, in dem Verstande, wie
es die Thiere sind, der auch nicht in seiner Seele
Worte denken könnte, wäre das traurigste, sinn-
loseste, verlassenste Geschöpf der Schöpfung: und
der größste Wiederspruch mit sich selbst! Jm
ganzen Universum gleichsam allein; an nichts ge-
heftet und für alles da, durch nichts gesichert, und
durch sich selbst noch minder, muß der Mensch ent-
weder unterliegen, oder über alles herrschen, mit
Plan einer Weißheit, deren kein Thier fähig ist,
von allem deutlichen Besitz nehmen, oder umkom-
men! Sey nichts, oder Monarch der Schöpfung
durch Verstand! Zertrümmere, oder schaffe dir
Sprache. Und wann sich nun in diesem andrin-
genden Kreise von Bedürfnissen alle Seelenkräste
sammlen: wenn die ganze Menschheit, Mensch
zu seyn, kämpfet -- wie viel kann erfunden,
gethan, geordnet werden!

Wir gesellschaftlichen Menschen denken uns in
einem solchen Zustand nur immer mit Zittern hin-

ein:

Gegenſtaͤnde fortgeſezt: iſt der Anfang zur Spra-
che: unbetraͤchtlich? Und ſiehe! es iſt nur das
Leben eines Einzigen Menſchen!

Ein ſtummer Menſch, in dem Verſtande, wie
es die Thiere ſind, der auch nicht in ſeiner Seele
Worte denken koͤnnte, waͤre das traurigſte, ſinn-
loſeſte, verlaſſenſte Geſchoͤpf der Schoͤpfung: und
der groͤßſte Wiederſpruch mit ſich ſelbſt! Jm
ganzen Univerſum gleichſam allein; an nichts ge-
heftet und fuͤr alles da, durch nichts geſichert, und
durch ſich ſelbſt noch minder, muß der Menſch ent-
weder unterliegen, oder uͤber alles herrſchen, mit
Plan einer Weißheit, deren kein Thier faͤhig iſt,
von allem deutlichen Beſitz nehmen, oder umkom-
men! Sey nichts, oder Monarch der Schoͤpfung
durch Verſtand! Zertruͤmmere, oder ſchaffe dir
Sprache. Und wann ſich nun in dieſem andrin-
genden Kreiſe von Beduͤrfniſſen alle Seelenkraͤſte
ſammlen: wenn die ganze Menſchheit, Menſch
zu ſeyn, kaͤmpfet — wie viel kann erfunden,
gethan, geordnet werden!

Wir geſellſchaftlichen Menſchen denken uns in
einem ſolchen Zuſtand nur immer mit Zittern hin-

ein:
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0163" n="157"/>
Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde fortge&#x017F;ezt: i&#x017F;t der Anfang zur Spra-<lb/>
che: unbetra&#x0364;chtlich? Und &#x017F;iehe! es i&#x017F;t nur <hi rendition="#fr">das<lb/>
Leben eines Einzigen Men&#x017F;chen!</hi></p><lb/>
          <p>Ein &#x017F;tummer Men&#x017F;ch, in dem Ver&#x017F;tande, wie<lb/>
es die Thiere &#x017F;ind, der auch nicht in &#x017F;einer Seele<lb/><hi rendition="#fr">Worte</hi> denken ko&#x0364;nnte, wa&#x0364;re das traurig&#x017F;te, &#x017F;inn-<lb/>
lo&#x017F;e&#x017F;te, verla&#x017F;&#x017F;en&#x017F;te Ge&#x017F;cho&#x0364;pf der Scho&#x0364;pfung: und<lb/><hi rendition="#fr">der gro&#x0364;ß&#x017F;te Wieder&#x017F;pruch mit &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t!</hi> Jm<lb/>
ganzen Univer&#x017F;um gleich&#x017F;am allein; an nichts ge-<lb/>
heftet und fu&#x0364;r alles da, durch nichts ge&#x017F;ichert, und<lb/>
durch &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t noch minder, muß der Men&#x017F;ch ent-<lb/>
weder unterliegen, oder u&#x0364;ber alles herr&#x017F;chen, mit<lb/>
Plan einer Weißheit, deren kein Thier fa&#x0364;hig i&#x017F;t,<lb/>
von allem deutlichen Be&#x017F;itz nehmen, oder umkom-<lb/>
men! Sey nichts, oder Monarch der Scho&#x0364;pfung<lb/>
durch Ver&#x017F;tand! Zertru&#x0364;mmere, oder &#x017F;chaffe dir<lb/>
Sprache. Und wann &#x017F;ich nun in die&#x017F;em andrin-<lb/>
genden Krei&#x017F;e von Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;en alle Seelenkra&#x0364;&#x017F;te<lb/>
&#x017F;ammlen: wenn die ganze Men&#x017F;chheit, Men&#x017F;ch<lb/>
zu &#x017F;eyn, ka&#x0364;mpfet &#x2014; <hi rendition="#fr">wie viel kann erfunden,<lb/>
gethan, geordnet werden!</hi></p><lb/>
          <p>Wir ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen Men&#x017F;chen denken uns in<lb/>
einem &#x017F;olchen Zu&#x017F;tand nur immer mit Zittern hin-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ein:</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[157/0163] Gegenſtaͤnde fortgeſezt: iſt der Anfang zur Spra- che: unbetraͤchtlich? Und ſiehe! es iſt nur das Leben eines Einzigen Menſchen! Ein ſtummer Menſch, in dem Verſtande, wie es die Thiere ſind, der auch nicht in ſeiner Seele Worte denken koͤnnte, waͤre das traurigſte, ſinn- loſeſte, verlaſſenſte Geſchoͤpf der Schoͤpfung: und der groͤßſte Wiederſpruch mit ſich ſelbſt! Jm ganzen Univerſum gleichſam allein; an nichts ge- heftet und fuͤr alles da, durch nichts geſichert, und durch ſich ſelbſt noch minder, muß der Menſch ent- weder unterliegen, oder uͤber alles herrſchen, mit Plan einer Weißheit, deren kein Thier faͤhig iſt, von allem deutlichen Beſitz nehmen, oder umkom- men! Sey nichts, oder Monarch der Schoͤpfung durch Verſtand! Zertruͤmmere, oder ſchaffe dir Sprache. Und wann ſich nun in dieſem andrin- genden Kreiſe von Beduͤrfniſſen alle Seelenkraͤſte ſammlen: wenn die ganze Menſchheit, Menſch zu ſeyn, kaͤmpfet — wie viel kann erfunden, gethan, geordnet werden! Wir geſellſchaftlichen Menſchen denken uns in einem ſolchen Zuſtand nur immer mit Zittern hin- ein:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/163
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/163>, abgerufen am 25.11.2024.