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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

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ein: "ei, wenn der Mensch sich gegen alles auf
"so langsame, schwache, unhinreichende Art erst
"retten soll -- Durch Vernunft, durch Ueberle-
"gung? wie langsam überlegt diese! und wie
"schnell, wie andringend sind seine Bedürfnisse?
"seine Gefahren! - - Es kann dieser Einwurf
freilich mit Beispielen sehr ausgeschmükt werden;
er streitet aber immer gegen eine ganz andre
Spitze. -- - Unsre Gesellschaft, die viele Menschen
zusammengebracht, daß sie mit ihren Fähigkeiten
und Verrichtungen Eins seyn sollen, muß also von
Jugend auf Fähigkeiten vertheilen und Gelegen-
heiten ausspenden, daß Eine für der andern gebil-
det werde. So wird der Eine Mensch für die
Gesellschaft gleichsam ganz Algebra, ganz Ver-
nunft; so wie sie am andern blos Herz, Muth
und Faust braucht: der nuzt ihr, daß er kein Ge-
nie und viel Fleiß: jener, daß er Genie in Einem
und in allem andern nichts habe. Jedes Trieb-
rad muß sein Verhältniß und Stelle haben: sonst
machen sie kein Ganzes einer Maschine -- Aber
daß man diese Vertheilung der Seelenkräfte, da
man alle andre merklich erstikt, um in Einer an-

dre

ein: „ei, wenn der Menſch ſich gegen alles auf
„ſo langſame, ſchwache, unhinreichende Art erſt
„retten ſoll — Durch Vernunft, durch Ueberle-
„gung? wie langſam uͤberlegt dieſe! und wie
„ſchnell, wie andringend ſind ſeine Beduͤrfniſſe?
„ſeine Gefahren! ‒ ‒ Es kann dieſer Einwurf
freilich mit Beiſpielen ſehr ausgeſchmuͤkt werden;
er ſtreitet aber immer gegen eine ganz andre
Spitze. — ‒ Unſre Geſellſchaft, die viele Menſchen
zuſammengebracht, daß ſie mit ihren Faͤhigkeiten
und Verrichtungen Eins ſeyn ſollen, muß alſo von
Jugend auf Faͤhigkeiten vertheilen und Gelegen-
heiten ausſpenden, daß Eine fuͤr der andern gebil-
det werde. So wird der Eine Menſch fuͤr die
Geſellſchaft gleichſam ganz Algebra, ganz Ver-
nunft; ſo wie ſie am andern blos Herz, Muth
und Fauſt braucht: der nuzt ihr, daß er kein Ge-
nie und viel Fleiß: jener, daß er Genie in Einem
und in allem andern nichts habe. Jedes Trieb-
rad muß ſein Verhaͤltniß und Stelle haben: ſonſt
machen ſie kein Ganzes einer Maſchine — Aber
daß man dieſe Vertheilung der Seelenkraͤfte, da
man alle andre merklich erſtikt, um in Einer an-

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[158/0164] ein: „ei, wenn der Menſch ſich gegen alles auf „ſo langſame, ſchwache, unhinreichende Art erſt „retten ſoll — Durch Vernunft, durch Ueberle- „gung? wie langſam uͤberlegt dieſe! und wie „ſchnell, wie andringend ſind ſeine Beduͤrfniſſe? „ſeine Gefahren! ‒ ‒ Es kann dieſer Einwurf freilich mit Beiſpielen ſehr ausgeſchmuͤkt werden; er ſtreitet aber immer gegen eine ganz andre Spitze. — ‒ Unſre Geſellſchaft, die viele Menſchen zuſammengebracht, daß ſie mit ihren Faͤhigkeiten und Verrichtungen Eins ſeyn ſollen, muß alſo von Jugend auf Faͤhigkeiten vertheilen und Gelegen- heiten ausſpenden, daß Eine fuͤr der andern gebil- det werde. So wird der Eine Menſch fuͤr die Geſellſchaft gleichſam ganz Algebra, ganz Ver- nunft; ſo wie ſie am andern blos Herz, Muth und Fauſt braucht: der nuzt ihr, daß er kein Ge- nie und viel Fleiß: jener, daß er Genie in Einem und in allem andern nichts habe. Jedes Trieb- rad muß ſein Verhaͤltniß und Stelle haben: ſonſt machen ſie kein Ganzes einer Maſchine — Aber daß man dieſe Vertheilung der Seelenkraͤfte, da man alle andre merklich erſtikt, um in Einer an- dre

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/164>, abgerufen am 22.11.2024.