Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.Wunden der Seele oder des Körpers wimmern? Jn allen Sprachen des Ursprungs tönen Jn einer feinen, spät erfundnen Metaphysi- tausen-
Wunden der Seele oder des Koͤrpers wimmern? Jn allen Sprachen des Urſprungs toͤnen Jn einer feinen, ſpaͤt erfundnen Metaphyſi- tauſen-
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Wunden der Seele oder des Koͤrpers wimmern?
Ob dieſes Geſchrei von Furcht oder Schmerz aus-
gepreßt werde? ob dies weiche Ach ſich mit einem
Kuß oder einer Thraͤne an den Buſen der Gelieb-
ten druͤcke? — alle ſolche Unterſchiede zu beſtim-
men, war dieſe Sprache nicht da. Sie ſollte zum
Gemaͤlde hinruffen; dies Gemaͤlde wird ſchon vor
ſich ſelbſt reden! ſie ſollte toͤnen, nicht aber ſchil-
dern! — Ueberhaupt graͤnzen nach jener Fabel
des Sokrates Schmerz und Wolluſt: die Natur
hat in der Empfindung ihre Ende zuſammenge-
knuͤpft, und was kann alſo die Sprache der Em-
pfindung anders, als ſolche Beruͤhrungspunkte
zeigen? — — — Jezt darf ich anwenden.
Jn allen Sprachen des Urſprungs toͤnen
noch Reſte dieſer Naturtoͤne; nur freilich ſind
ſie nicht die Hauptfaͤden der menſchlichen Spra-
che. Sie ſind nicht die eigentlichen Wurzeln, aber
die Saͤfte, die die Wurzeln der Sprache beleben.
Jn einer feinen, ſpaͤt erfundnen Metaphyſi-
ſchen Sprache, die von der urſpruͤnglichen wilden
Mutter des menſchlichen Geſchlechts eine Abart
vielleicht im vierten Gliede, und nach langen Jahr-
tauſen-
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Zitationshilfe: | Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/16>, abgerufen am 22.07.2024. |