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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

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sind einzelne Punkte, leuchtende Funken aus dem
Licht der Vollkommenheit Gottes, die aber immer
einzeln leuchten. Ein erfahrner Fuchs hingegen,
unterscheidet sich schon sehr von dem ersten Lehrlinge
der Jagd: er kennet schon viele Kunstgriffe voraus,
und sucht ihnen zu entweichen - - aber woher kennt
er sie? und wie sucht er ihnen zu entweichen?
Weil unmittelbar aus solcher Erfahrung das Gesetz
dieser Handlung folget. Jn keinem Falle würkt
deutliche Reflexion, denn werden nicht immer
die klügsten Füchse noch jezt so berükt, wie vom
ersten Jäger in der Welt? Bei dem Menschen
waltet offenbar ein andres Naturgesetz über die
Succeßion seiner Jdeen, Besonnenheit: sie wal-
tet noch selbst im sinnlichsten Zustande, nur min-
der merklich, das unwissendste Geschöpf, wann er
auf die Welt kommt: aber sogleich wird er Lehr-
ling der Natur auf eine Weise wie kein Thier:
Ein Tag nicht blos lehrt den andern: sondern jede
Minute des Tages die andre: jeder Gedanke den
andern. Der Kunstgriff ist seiner Seele wesent-
lich, nichts für diesen Augenblick zu lernen, son-
dern alles, entweder an das zu reihen, was sie

schon

ſind einzelne Punkte, leuchtende Funken aus dem
Licht der Vollkommenheit Gottes, die aber immer
einzeln leuchten. Ein erfahrner Fuchs hingegen,
unterſcheidet ſich ſchon ſehr von dem erſten Lehrlinge
der Jagd: er kennet ſchon viele Kunſtgriffe voraus,
und ſucht ihnen zu entweichen ‒ ‒ aber woher kennt
er ſie? und wie ſucht er ihnen zu entweichen?
Weil unmittelbar aus ſolcher Erfahrung das Geſetz
dieſer Handlung folget. Jn keinem Falle wuͤrkt
deutliche Reflexion, denn werden nicht immer
die kluͤgſten Fuͤchſe noch jezt ſo beruͤkt, wie vom
erſten Jaͤger in der Welt? Bei dem Menſchen
waltet offenbar ein andres Naturgeſetz uͤber die
Succeßion ſeiner Jdeen, Beſonnenheit: ſie wal-
tet noch ſelbſt im ſinnlichſten Zuſtande, nur min-
der merklich, das unwiſſendſte Geſchoͤpf, wann er
auf die Welt kommt: aber ſogleich wird er Lehr-
ling der Natur auf eine Weiſe wie kein Thier:
Ein Tag nicht blos lehrt den andern: ſondern jede
Minute des Tages die andre: jeder Gedanke den
andern. Der Kunſtgriff iſt ſeiner Seele weſent-
lich, nichts fuͤr dieſen Augenblick zu lernen, ſon-
dern alles, entweder an das zu reihen, was ſie

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[150/0156] ſind einzelne Punkte, leuchtende Funken aus dem Licht der Vollkommenheit Gottes, die aber immer einzeln leuchten. Ein erfahrner Fuchs hingegen, unterſcheidet ſich ſchon ſehr von dem erſten Lehrlinge der Jagd: er kennet ſchon viele Kunſtgriffe voraus, und ſucht ihnen zu entweichen ‒ ‒ aber woher kennt er ſie? und wie ſucht er ihnen zu entweichen? Weil unmittelbar aus ſolcher Erfahrung das Geſetz dieſer Handlung folget. Jn keinem Falle wuͤrkt deutliche Reflexion, denn werden nicht immer die kluͤgſten Fuͤchſe noch jezt ſo beruͤkt, wie vom erſten Jaͤger in der Welt? Bei dem Menſchen waltet offenbar ein andres Naturgeſetz uͤber die Succeßion ſeiner Jdeen, Beſonnenheit: ſie wal- tet noch ſelbſt im ſinnlichſten Zuſtande, nur min- der merklich, das unwiſſendſte Geſchoͤpf, wann er auf die Welt kommt: aber ſogleich wird er Lehr- ling der Natur auf eine Weiſe wie kein Thier: Ein Tag nicht blos lehrt den andern: ſondern jede Minute des Tages die andre: jeder Gedanke den andern. Der Kunſtgriff iſt ſeiner Seele weſent- lich, nichts fuͤr dieſen Augenblick zu lernen, ſon- dern alles, entweder an das zu reihen, was ſie ſchon

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/156>, abgerufen am 22.11.2024.