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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

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lich die Geberde erkennen, die ihn geschlagen, und
der Fuchs den unsichern Ort, wo ihm nachgestellt
wurde, fliehen; aber keins von beiden sich eine
allgemeine Reflexion aufklären, wie es dieser
schlagdrohenden Geberde und dieser Hinterlist der
Jäger je auf immer entgehen könnte. Es blieb
also nur immer bei dem Einzelnen sinnlichen
Falle hangen,
und sein Gedächtniß wurde eine
Reihe dieser sinnlichen Fälle, die sich produ-
ciren und reproduciren
-- aber nie "durch Ue-
"berlegung" verbunden:
ein Mannichfaltiges
ohne deutliche Einheit: ein Traum sehr sinnlicher,
klarer, lebhafter Vorstellungen, ohne ein Hauptge-
setz des hellen Wachens, das diesen Traum ordne.

Freilich ist unter diesen Geschlechtern und Gat-
tungen noch ein großer Unterschied. Je enger der
Kreis, je stärker die Sinnlichkeit und der Trieb,
je einförmiger die Kunstfähigkeit, und das Werk
des Lebens ist; desto weniger ist, wenigstens für
uns, die geringste Progreßion durch Erfahrung
merklich. Die Biene bauet in ihrer Kindheit so,
wie im hohen Alter, und wird zu Ende der Welt
so bauen, als im Beginn der Schöpfung. Sie

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K 3

lich die Geberde erkennen, die ihn geſchlagen, und
der Fuchs den unſichern Ort, wo ihm nachgeſtellt
wurde, fliehen; aber keins von beiden ſich eine
allgemeine Reflexion aufklaͤren, wie es dieſer
ſchlagdrohenden Geberde und dieſer Hinterliſt der
Jaͤger je auf immer entgehen koͤnnte. Es blieb
alſo nur immer bei dem Einzelnen ſinnlichen
Falle hangen,
und ſein Gedaͤchtniß wurde eine
Reihe dieſer ſinnlichen Faͤlle, die ſich produ-
ciren und reproduciren
— aber nie „durch Ue-
„berlegung„ verbunden:
ein Mannichfaltiges
ohne deutliche Einheit: ein Traum ſehr ſinnlicher,
klarer, lebhafter Vorſtellungen, ohne ein Hauptge-
ſetz des hellen Wachens, das dieſen Traum ordne.

Freilich iſt unter dieſen Geſchlechtern und Gat-
tungen noch ein großer Unterſchied. Je enger der
Kreis, je ſtaͤrker die Sinnlichkeit und der Trieb,
je einfoͤrmiger die Kunſtfaͤhigkeit, und das Werk
des Lebens iſt; deſto weniger iſt, wenigſtens fuͤr
uns, die geringſte Progreßion durch Erfahrung
merklich. Die Biene bauet in ihrer Kindheit ſo,
wie im hohen Alter, und wird zu Ende der Welt
ſo bauen, als im Beginn der Schoͤpfung. Sie

ſind
K 3
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[149/0155] lich die Geberde erkennen, die ihn geſchlagen, und der Fuchs den unſichern Ort, wo ihm nachgeſtellt wurde, fliehen; aber keins von beiden ſich eine allgemeine Reflexion aufklaͤren, wie es dieſer ſchlagdrohenden Geberde und dieſer Hinterliſt der Jaͤger je auf immer entgehen koͤnnte. Es blieb alſo nur immer bei dem Einzelnen ſinnlichen Falle hangen, und ſein Gedaͤchtniß wurde eine Reihe dieſer ſinnlichen Faͤlle, die ſich produ- ciren und reproduciren — aber nie „durch Ue- „berlegung„ verbunden: ein Mannichfaltiges ohne deutliche Einheit: ein Traum ſehr ſinnlicher, klarer, lebhafter Vorſtellungen, ohne ein Hauptge- ſetz des hellen Wachens, das dieſen Traum ordne. Freilich iſt unter dieſen Geſchlechtern und Gat- tungen noch ein großer Unterſchied. Je enger der Kreis, je ſtaͤrker die Sinnlichkeit und der Trieb, je einfoͤrmiger die Kunſtfaͤhigkeit, und das Werk des Lebens iſt; deſto weniger iſt, wenigſtens fuͤr uns, die geringſte Progreßion durch Erfahrung merklich. Die Biene bauet in ihrer Kindheit ſo, wie im hohen Alter, und wird zu Ende der Welt ſo bauen, als im Beginn der Schoͤpfung. Sie ſind K 3

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/155>, abgerufen am 22.11.2024.