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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

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"das erste Wörterbuch der menschlichen Seele
"eine lebendige Epopee der tönenden, handeln-
"den Natur
war: so war die erste Grammatik
"fast nichts, als ein philosophischer Versuch,
"diese Epopee zur regelmäßigern Geschichte
"zu machen;" Sie zerarbeitet sich also mit lauter
Verbis, und arbeiter in einem Chaos, was für die
Dichtkunst unerschöpflich, mehr geordnet, sehr reich
für die Bestimmung der Geschichte; am spätsten aber
für Axiome und Demonstrationen brauchbar ist.

3) Das Wort, was unmittelbar auf den
Schall der Natur, nachahmend, folgte: folgte
schon einem Vergangnen: "Praeterita sind also
"die Wurzeln der Verborum, aber Praeteri-
"ta,
die noch fast für die Gegenwart gelten."
A priori ist das Faktum sonderbar und unerklärlich,
da die gegenwärtige Zeit die erste seyn müßte,
wie sie es auch in allen spätergebildeten Sprachen
geworden; nach der Geschichte der Sprachenerfin-
dung konnte es nicht anders seyn. "Die Gegen-
"wart zeigt man; aber das Vergangne muß man
erzählen." Und da man dies auf so viel Art
erzählen konnte, und Anfangs im Bedürfniß

Worte

„das erſte Woͤrterbuch der menſchlichen Seele
„eine lebendige Epopee der toͤnenden, handeln-
„den Natur
war: ſo war die erſte Grammatik
„faſt nichts, als ein philoſophiſcher Verſuch,
„dieſe Epopee zur regelmaͤßigern Geſchichte
„zu machen;„ Sie zerarbeitet ſich alſo mit lauter
Verbis, und arbeiter in einem Chaos, was fuͤr die
Dichtkunſt unerſchoͤpflich, mehr geordnet, ſehr reich
fuͤr die Beſtimmung der Geſchichte; am ſpaͤtſten aber
fuͤr Axiome und Demonſtrationen brauchbar iſt.

3) Das Wort, was unmittelbar auf den
Schall der Natur, nachahmend, folgte: folgte
ſchon einem Vergangnen: Praeterita ſind alſo
„die Wurzeln der Verborum, aber Praeteri-
„ta,
die noch faſt fuͤr die Gegenwart gelten.„
A priori iſt das Faktum ſonderbar und unerklaͤrlich,
da die gegenwaͤrtige Zeit die erſte ſeyn muͤßte,
wie ſie es auch in allen ſpaͤtergebildeten Sprachen
geworden; nach der Geſchichte der Sprachenerfin-
dung konnte es nicht anders ſeyn. „Die Gegen-
„wart zeigt man; aber das Vergangne muß man
erzaͤhlen.„ Und da man dies auf ſo viel Art
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Worte
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[132/0138] „das erſte Woͤrterbuch der menſchlichen Seele „eine lebendige Epopee der toͤnenden, handeln- „den Natur war: ſo war die erſte Grammatik „faſt nichts, als ein philoſophiſcher Verſuch, „dieſe Epopee zur regelmaͤßigern Geſchichte „zu machen;„ Sie zerarbeitet ſich alſo mit lauter Verbis, und arbeiter in einem Chaos, was fuͤr die Dichtkunſt unerſchoͤpflich, mehr geordnet, ſehr reich fuͤr die Beſtimmung der Geſchichte; am ſpaͤtſten aber fuͤr Axiome und Demonſtrationen brauchbar iſt. 3) Das Wort, was unmittelbar auf den Schall der Natur, nachahmend, folgte: folgte ſchon einem Vergangnen: „Praeterita ſind alſo „die Wurzeln der Verborum, aber Praeteri- „ta, die noch faſt fuͤr die Gegenwart gelten.„ A priori iſt das Faktum ſonderbar und unerklaͤrlich, da die gegenwaͤrtige Zeit die erſte ſeyn muͤßte, wie ſie es auch in allen ſpaͤtergebildeten Sprachen geworden; nach der Geſchichte der Sprachenerfin- dung konnte es nicht anders ſeyn. „Die Gegen- „wart zeigt man; aber das Vergangne muß man erzaͤhlen.„ Und da man dies auf ſo viel Art erzaͤhlen konnte, und Anfangs im Beduͤrfniß Worte

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/138>, abgerufen am 04.05.2024.