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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

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sige Erfinder eben der unvollkommensten Sprache
wäre Gott?

Die Analogien aller wilden Sprachen bestäti-
gen meinen Satz: jede ist auf ihre Weise ver-
schwenderisch und dürftig: nur jede auf eigne Art.
Wenn der Araber für Stein, Cameel, Schwerdt,
Schlange, (Dinge, unter denen er lebt!) so viel
Wörter hat; so ist die Ceylamische Sprache, den
Neigungen ihres Volks gemäß, reich an Schmei-
cheleien, Titeln und Wortgepränge. Für das
Wort "Frauenzimmer" hat sie nach Stand und
Range zwölferlei Namen, da selbst wir unhöfliche
Deutsche z. E. hierinn von unsern Nachbarn bor-
gen müssen. Nach Stand und Range wird das
Du und Jhr auf achterlei Weise gegeben, und das
so wohl vom Tagelöhner, als vom Hofmanne:
der Wust ist Form der Sprache. Jn Siam gibt
es achterlei Manieren Jch und Wir zu sagen,
nachdem der Herr mit dem Knechte, oder der
Knecht mit dem Herrn redet. Die Sprache der
wilden Kariben ist beinahe in zwo Sprachen der
Weiber und Männer vertheilt, und die gemein-
sten Sachen: Bette, Mond, Sonne, Bogen, be-

nennen

ſige Erfinder eben der unvollkommenſten Sprache
waͤre Gott?

Die Analogien aller wilden Sprachen beſtaͤti-
gen meinen Satz: jede iſt auf ihre Weiſe ver-
ſchwenderiſch und duͤrftig: nur jede auf eigne Art.
Wenn der Araber fuͤr Stein, Cameel, Schwerdt,
Schlange, (Dinge, unter denen er lebt!) ſo viel
Woͤrter hat; ſo iſt die Ceylamiſche Sprache, den
Neigungen ihres Volks gemaͤß, reich an Schmei-
cheleien, Titeln und Wortgepraͤnge. Fuͤr das
Wort „Frauenzimmer„ hat ſie nach Stand und
Range zwoͤlferlei Namen, da ſelbſt wir unhoͤfliche
Deutſche z. E. hierinn von unſern Nachbarn bor-
gen muͤſſen. Nach Stand und Range wird das
Du und Jhr auf achterlei Weiſe gegeben, und das
ſo wohl vom Tageloͤhner, als vom Hofmanne:
der Wuſt iſt Form der Sprache. Jn Siam gibt
es achterlei Manieren Jch und Wir zu ſagen,
nachdem der Herr mit dem Knechte, oder der
Knecht mit dem Herrn redet. Die Sprache der
wilden Kariben iſt beinahe in zwo Sprachen der
Weiber und Maͤnner vertheilt, und die gemein-
ſten Sachen: Bette, Mond, Sonne, Bogen, be-

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[120/0126] ſige Erfinder eben der unvollkommenſten Sprache waͤre Gott? Die Analogien aller wilden Sprachen beſtaͤti- gen meinen Satz: jede iſt auf ihre Weiſe ver- ſchwenderiſch und duͤrftig: nur jede auf eigne Art. Wenn der Araber fuͤr Stein, Cameel, Schwerdt, Schlange, (Dinge, unter denen er lebt!) ſo viel Woͤrter hat; ſo iſt die Ceylamiſche Sprache, den Neigungen ihres Volks gemaͤß, reich an Schmei- cheleien, Titeln und Wortgepraͤnge. Fuͤr das Wort „Frauenzimmer„ hat ſie nach Stand und Range zwoͤlferlei Namen, da ſelbſt wir unhoͤfliche Deutſche z. E. hierinn von unſern Nachbarn bor- gen muͤſſen. Nach Stand und Range wird das Du und Jhr auf achterlei Weiſe gegeben, und das ſo wohl vom Tageloͤhner, als vom Hofmanne: der Wuſt iſt Form der Sprache. Jn Siam gibt es achterlei Manieren Jch und Wir zu ſagen, nachdem der Herr mit dem Knechte, oder der Knecht mit dem Herrn redet. Die Sprache der wilden Kariben iſt beinahe in zwo Sprachen der Weiber und Maͤnner vertheilt, und die gemein- ſten Sachen: Bette, Mond, Sonne, Bogen, be- nennen

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/126>, abgerufen am 04.05.2024.