laß es seyn, daß unter den 50 Wörtern, die der Araber für den Löwen, unter den 200, die er für die Schlange, unter den 80, die er für den Honig, und mehr als 1000, die er fürs Schwerdt hat, sich feine Unterschiede finden, oder gefunden hätten, die aber verloren gegangen wären -- warum wa- ren sie da, wenn sie verloren gehen mußten? Warum erfand Gott einen unnöthigen Wortschatz, den nur, wie die Araber sagen, ein göttlicher Pro- phet in seinem ganzen Umfange fassen konnte? Erfand er ins Leere der Vergessenheit? -- -- -- Vergleichungsweise aber sind diese Worte doch immer Synonymen, in Betracht der vielen andern Jdeen, für die Wörter gar mangeln -- Nun entwikle man doch darinn göttliche Ordnung, daß Er, der den Plan der Sprache übersahe, für den Stein 70 Wörter erfand, und für alle so nö- thige Jdeen, innerliche Gefühle, und Abstraktio- nen keine? daß Er dort mit unnöthigem Ueberfluß überhäufte, hier in der größten Dürftigkeit ließ, zu stehlen, Mataphern zu usurpiren, halben Un- sinn zu reden u. s. w.
Mensch-
laß es ſeyn, daß unter den 50 Woͤrtern, die der Araber fuͤr den Loͤwen, unter den 200, die er fuͤr die Schlange, unter den 80, die er fuͤr den Honig, und mehr als 1000, die er fuͤrs Schwerdt hat, ſich feine Unterſchiede finden, oder gefunden haͤtten, die aber verloren gegangen waͤren — warum wa- ren ſie da, wenn ſie verloren gehen mußten? Warum erfand Gott einen unnoͤthigen Wortſchatz, den nur, wie die Araber ſagen, ein goͤttlicher Pro- phet in ſeinem ganzen Umfange faſſen konnte? Erfand er ins Leere der Vergeſſenheit? — — — Vergleichungsweiſe aber ſind dieſe Worte doch immer Synonymen, in Betracht der vielen andern Jdeen, fuͤr die Woͤrter gar mangeln — Nun entwikle man doch darinn goͤttliche Ordnung, daß Er, der den Plan der Sprache uͤberſahe, fuͤr den Stein 70 Woͤrter erfand, und fuͤr alle ſo noͤ- thige Jdeen, innerliche Gefuͤhle, und Abſtraktio- nen keine? daß Er dort mit unnoͤthigem Ueberfluß uͤberhaͤufte, hier in der groͤßten Duͤrftigkeit ließ, zu ſtehlen, Mataphern zu uſurpiren, halben Un- ſinn zu reden u. ſ. w.
Menſch-
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laß es ſeyn, daß unter den 50 Woͤrtern, die der
Araber fuͤr den Loͤwen, unter den 200, die er fuͤr
die Schlange, unter den 80, die er fuͤr den Honig,
und mehr als 1000, die er fuͤrs Schwerdt hat, ſich
feine Unterſchiede finden, oder gefunden haͤtten,
die aber verloren gegangen waͤren — warum wa-
ren ſie da, wenn ſie verloren gehen mußten?
Warum erfand Gott einen unnoͤthigen Wortſchatz,
den nur, wie die Araber ſagen, ein goͤttlicher Pro-
phet in ſeinem ganzen Umfange faſſen konnte?
Erfand er ins Leere der Vergeſſenheit? — — —
Vergleichungsweiſe aber ſind dieſe Worte doch
immer Synonymen, in Betracht der vielen
andern Jdeen, fuͤr die Woͤrter gar mangeln —
Nun entwikle man doch darinn goͤttliche Ordnung,
daß Er, der den Plan der Sprache uͤberſahe, fuͤr
den Stein 70 Woͤrter erfand, und fuͤr alle ſo noͤ-
thige Jdeen, innerliche Gefuͤhle, und Abſtraktio-
nen keine? daß Er dort mit unnoͤthigem Ueberfluß
uͤberhaͤufte, hier in der groͤßten Duͤrftigkeit ließ,
zu ſtehlen, Mataphern zu uſurpiren, halben Un-
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/124>, abgerufen am 11.02.2025.
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