Jch folgre noch eine Anmerkung, die zu allge- mein und wichtig ist, um übergangen zu werden. Der Grund der kühnen Wortmetaphern lag in der ersten Erfindung; aber wie? wenn spät nachher, wenn schon alles Bedürfniß weggefallen ist, aus bloßer Nachahmungssucht, oder Liebe zum Alter- thum dergleichen Wort- und Bildergattungen blei- ben? Und gar noch ausgedehnt und erhöhet wer- den? Denn, o denn wird der erhabne Unsinn, das aufgedunsne Wortspiel daraus, was es im Anfang eigentlich nicht war. Dort wars kühner, männlicher Witz, der denn vielleicht am wenigsten spielen wollte, wenn er am meisten zu spielen schien! es war rohe Erhabenheit der Phantasie, die solch Gefühl in solchem Worte herausarbeitete; aber nun im Gebrauche schaaler Nachahmer, ohne solches Gefühl, ohne solche Gelegenheit -- Ach! Ampullen von Worten ohne Geist! und das ist "das Schiksal aller derer Sprachen in spä- "tern Zeiten gewesen, deren erste Formen "so kühn waren." Die spätern französischen Dichter können sich nicht versteigen, weil die ersten Erfinder ihrer Sprache sich nicht verstiegen haben:
ihre
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Jch folgre noch eine Anmerkung, die zu allge- mein und wichtig iſt, um uͤbergangen zu werden. Der Grund der kuͤhnen Wortmetaphern lag in der erſten Erfindung; aber wie? wenn ſpaͤt nachher, wenn ſchon alles Beduͤrfniß weggefallen iſt, aus bloßer Nachahmungsſucht, oder Liebe zum Alter- thum dergleichen Wort- und Bildergattungen blei- ben? Und gar noch ausgedehnt und erhoͤhet wer- den? Denn, o denn wird der erhabne Unſinn, das aufgedunſne Wortſpiel daraus, was es im Anfang eigentlich nicht war. Dort wars kuͤhner, maͤnnlicher Witz, der denn vielleicht am wenigſten ſpielen wollte, wenn er am meiſten zu ſpielen ſchien! es war rohe Erhabenheit der Phantaſie, die ſolch Gefuͤhl in ſolchem Worte herausarbeitete; aber nun im Gebrauche ſchaaler Nachahmer, ohne ſolches Gefuͤhl, ohne ſolche Gelegenheit — Ach! Ampullen von Worten ohne Geiſt! und das iſt „das Schikſal aller derer Sprachen in ſpaͤ- „tern Zeiten geweſen, deren erſte Formen „ſo kuͤhn waren.„ Die ſpaͤtern franzoͤſiſchen Dichter koͤnnen ſich nicht verſteigen, weil die erſten Erfinder ihrer Sprache ſich nicht verſtiegen haben:
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Jch folgre noch eine Anmerkung, die zu allge-
mein und wichtig iſt, um uͤbergangen zu werden.
Der Grund der kuͤhnen Wortmetaphern lag in der
erſten Erfindung; aber wie? wenn ſpaͤt nachher,
wenn ſchon alles Beduͤrfniß weggefallen iſt, aus
bloßer Nachahmungsſucht, oder Liebe zum Alter-
thum dergleichen Wort- und Bildergattungen blei-
ben? Und gar noch ausgedehnt und erhoͤhet wer-
den? Denn, o denn wird der erhabne Unſinn,
das aufgedunſne Wortſpiel daraus, was es im
Anfang eigentlich nicht war. Dort wars kuͤhner,
maͤnnlicher Witz, der denn vielleicht am wenigſten
ſpielen wollte, wenn er am meiſten zu ſpielen
ſchien! es war rohe Erhabenheit der Phantaſie,
die ſolch Gefuͤhl in ſolchem Worte herausarbeitete;
aber nun im Gebrauche ſchaaler Nachahmer, ohne
ſolches Gefuͤhl, ohne ſolche Gelegenheit — Ach!
Ampullen von Worten ohne Geiſt! und das iſt
„das Schikſal aller derer Sprachen in ſpaͤ-
„tern Zeiten geweſen, deren erſte Formen
„ſo kuͤhn waren.„ Die ſpaͤtern franzoͤſiſchen
Dichter koͤnnen ſich nicht verſteigen, weil die erſten
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/121>, abgerufen am 11.02.2025.
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