Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

Jch folgre noch eine Anmerkung, die zu allge-
mein und wichtig ist, um übergangen zu werden.
Der Grund der kühnen Wortmetaphern lag in der
ersten Erfindung; aber wie? wenn spät nachher,
wenn schon alles Bedürfniß weggefallen ist, aus
bloßer Nachahmungssucht, oder Liebe zum Alter-
thum dergleichen Wort- und Bildergattungen blei-
ben? Und gar noch ausgedehnt und erhöhet wer-
den? Denn, o denn wird der erhabne Unsinn,
das aufgedunsne Wortspiel daraus, was es im
Anfang eigentlich nicht war. Dort wars kühner,
männlicher Witz, der denn vielleicht am wenigsten
spielen wollte, wenn er am meisten zu spielen
schien! es war rohe Erhabenheit der Phantasie,
die solch Gefühl in solchem Worte herausarbeitete;
aber nun im Gebrauche schaaler Nachahmer, ohne
solches Gefühl, ohne solche Gelegenheit -- Ach!
Ampullen von Worten ohne Geist! und das ist
"das Schiksal aller derer Sprachen in spä-
"tern Zeiten gewesen, deren erste Formen
"so kühn waren."
Die spätern französischen
Dichter können sich nicht versteigen, weil die ersten
Erfinder ihrer Sprache sich nicht verstiegen haben:

ihre
H 2

Jch folgre noch eine Anmerkung, die zu allge-
mein und wichtig iſt, um uͤbergangen zu werden.
Der Grund der kuͤhnen Wortmetaphern lag in der
erſten Erfindung; aber wie? wenn ſpaͤt nachher,
wenn ſchon alles Beduͤrfniß weggefallen iſt, aus
bloßer Nachahmungsſucht, oder Liebe zum Alter-
thum dergleichen Wort- und Bildergattungen blei-
ben? Und gar noch ausgedehnt und erhoͤhet wer-
den? Denn, o denn wird der erhabne Unſinn,
das aufgedunſne Wortſpiel daraus, was es im
Anfang eigentlich nicht war. Dort wars kuͤhner,
maͤnnlicher Witz, der denn vielleicht am wenigſten
ſpielen wollte, wenn er am meiſten zu ſpielen
ſchien! es war rohe Erhabenheit der Phantaſie,
die ſolch Gefuͤhl in ſolchem Worte herausarbeitete;
aber nun im Gebrauche ſchaaler Nachahmer, ohne
ſolches Gefuͤhl, ohne ſolche Gelegenheit — Ach!
Ampullen von Worten ohne Geiſt! und das iſt
„das Schikſal aller derer Sprachen in ſpaͤ-
„tern Zeiten geweſen, deren erſte Formen
„ſo kuͤhn waren.„
Die ſpaͤtern franzoͤſiſchen
Dichter koͤnnen ſich nicht verſteigen, weil die erſten
Erfinder ihrer Sprache ſich nicht verſtiegen haben:

ihre
H 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0121" n="115"/>
            <p>Jch folgre noch eine Anmerkung, die zu allge-<lb/>
mein und wichtig i&#x017F;t, um u&#x0364;bergangen zu werden.<lb/>
Der Grund der ku&#x0364;hnen Wortmetaphern lag in der<lb/>
er&#x017F;ten Erfindung; aber wie? wenn &#x017F;pa&#x0364;t nachher,<lb/>
wenn &#x017F;chon alles Bedu&#x0364;rfniß weggefallen i&#x017F;t, aus<lb/>
bloßer Nachahmungs&#x017F;ucht, oder Liebe zum Alter-<lb/>
thum dergleichen Wort- und Bildergattungen blei-<lb/>
ben? Und gar noch ausgedehnt und erho&#x0364;het wer-<lb/>
den? Denn, o denn wird der erhabne Un&#x017F;inn,<lb/>
das aufgedun&#x017F;ne Wort&#x017F;piel daraus, was es im<lb/>
Anfang eigentlich nicht war. Dort wars ku&#x0364;hner,<lb/>
ma&#x0364;nnlicher Witz, der denn vielleicht am wenig&#x017F;ten<lb/>
&#x017F;pielen wollte, wenn er am mei&#x017F;ten zu &#x017F;pielen<lb/>
&#x017F;chien! es war rohe Erhabenheit der Phanta&#x017F;ie,<lb/>
die &#x017F;olch Gefu&#x0364;hl in &#x017F;olchem Worte herausarbeitete;<lb/>
aber nun im Gebrauche &#x017F;chaaler Nachahmer, ohne<lb/>
&#x017F;olches Gefu&#x0364;hl, ohne &#x017F;olche Gelegenheit &#x2014; Ach!<lb/>
Ampullen von Worten ohne Gei&#x017F;t! und das i&#x017F;t<lb/>
&#x201E;das <hi rendition="#fr">Schik&#x017F;al aller derer Sprachen in &#x017F;pa&#x0364;-<lb/>
&#x201E;tern Zeiten gewe&#x017F;en, deren er&#x017F;te Formen<lb/>
&#x201E;&#x017F;o ku&#x0364;hn waren.&#x201E;</hi> Die &#x017F;pa&#x0364;tern franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Dichter ko&#x0364;nnen &#x017F;ich nicht ver&#x017F;teigen, weil die er&#x017F;ten<lb/>
Erfinder ihrer Sprache &#x017F;ich nicht ver&#x017F;tiegen haben:<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H 2</fw><fw place="bottom" type="catch">ihre</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0121] Jch folgre noch eine Anmerkung, die zu allge- mein und wichtig iſt, um uͤbergangen zu werden. Der Grund der kuͤhnen Wortmetaphern lag in der erſten Erfindung; aber wie? wenn ſpaͤt nachher, wenn ſchon alles Beduͤrfniß weggefallen iſt, aus bloßer Nachahmungsſucht, oder Liebe zum Alter- thum dergleichen Wort- und Bildergattungen blei- ben? Und gar noch ausgedehnt und erhoͤhet wer- den? Denn, o denn wird der erhabne Unſinn, das aufgedunſne Wortſpiel daraus, was es im Anfang eigentlich nicht war. Dort wars kuͤhner, maͤnnlicher Witz, der denn vielleicht am wenigſten ſpielen wollte, wenn er am meiſten zu ſpielen ſchien! es war rohe Erhabenheit der Phantaſie, die ſolch Gefuͤhl in ſolchem Worte herausarbeitete; aber nun im Gebrauche ſchaaler Nachahmer, ohne ſolches Gefuͤhl, ohne ſolche Gelegenheit — Ach! Ampullen von Worten ohne Geiſt! und das iſt „das Schikſal aller derer Sprachen in ſpaͤ- „tern Zeiten geweſen, deren erſte Formen „ſo kuͤhn waren.„ Die ſpaͤtern franzoͤſiſchen Dichter koͤnnen ſich nicht verſteigen, weil die erſten Erfinder ihrer Sprache ſich nicht verſtiegen haben: ihre H 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/121
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/121>, abgerufen am 04.05.2024.