Die Beispiele aus den alten und wilden Sprachen werden unzälig, wie herzlich und starkempfindend sie aus Gehör und Gefühl charakterisiren, und "ein Werk von der Art, was so recht das Grund- "gefühl solcher Jdeen bei verschiednen Völkern auf- "suchte," wäre eine völlige Demonstration für meinen Satz, und für die menschliche Erfindung der Sprache.
II. "Je älter und ursprünglicher die Sprachen "sind, desto mehr durchkreutzen sich auch die "Gefühle in den Wurzeln der Wörter!"
Man schlage das erste, beste morgenländische Wörterbuch auf, und man wird den Drang sehen, sich ausdrücken zu wollen! Wie der Erfinder Jdeen aus Einem Gefühl hinaus riß und für ein anderes borgte! wie er bei den schwersten, kältesten, deut- lichsten Sinnen am meisten borgte! wie Alles, Gefühl und Laut werden mußte, um Ausdruck zu werden! Daher die starken kühnen Metaphern in den Wurzeln der Worte! daher die Uebertra- gungen aus Gefühl in Gefühl, so daß die Bedeu- tungen eines Stammworts, und noch mehr seiner
Ab-
Die Beiſpiele aus den alten und wilden Sprachen werden unzaͤlig, wie herzlich und ſtarkempfindend ſie aus Gehoͤr und Gefuͤhl charakteriſiren, und „ein Werk von der Art, was ſo recht das Grund- „gefuͤhl ſolcher Jdeen bei verſchiednen Voͤlkern auf- „ſuchte,„ waͤre eine voͤllige Demonſtration fuͤr meinen Satz, und fuͤr die menſchliche Erfindung der Sprache.
II. „Je aͤlter und urſpruͤnglicher die Sprachen „ſind, deſto mehr durchkreutzen ſich auch die „Gefuͤhle in den Wurzeln der Woͤrter!„
Man ſchlage das erſte, beſte morgenlaͤndiſche Woͤrterbuch auf, und man wird den Drang ſehen, ſich ausdruͤcken zu wollen! Wie der Erfinder Jdeen aus Einem Gefuͤhl hinaus riß und fuͤr ein anderes borgte! wie er bei den ſchwerſten, kaͤlteſten, deut- lichſten Sinnen am meiſten borgte! wie Alles, Gefuͤhl und Laut werden mußte, um Ausdruck zu werden! Daher die ſtarken kuͤhnen Metaphern in den Wurzeln der Worte! daher die Uebertra- gungen aus Gefuͤhl in Gefuͤhl, ſo daß die Bedeu- tungen eines Stammworts, und noch mehr ſeiner
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Die Beiſpiele aus den alten und wilden Sprachen
werden unzaͤlig, wie herzlich und ſtarkempfindend
ſie aus Gehoͤr und Gefuͤhl charakteriſiren, und
„ein Werk von der Art, was ſo recht das Grund-
„gefuͤhl ſolcher Jdeen bei verſchiednen Voͤlkern auf-
„ſuchte,„ waͤre eine voͤllige Demonſtration fuͤr
meinen Satz, und fuͤr die menſchliche Erfindung
der Sprache.
II. „Je aͤlter und urſpruͤnglicher die Sprachen
„ſind, deſto mehr durchkreutzen ſich auch die
„Gefuͤhle in den Wurzeln der Woͤrter!„
Man ſchlage das erſte, beſte morgenlaͤndiſche
Woͤrterbuch auf, und man wird den Drang ſehen,
ſich ausdruͤcken zu wollen! Wie der Erfinder Jdeen
aus Einem Gefuͤhl hinaus riß und fuͤr ein anderes
borgte! wie er bei den ſchwerſten, kaͤlteſten, deut-
lichſten Sinnen am meiſten borgte! wie Alles,
Gefuͤhl und Laut werden mußte, um Ausdruck zu
werden! Daher die ſtarken kuͤhnen Metaphern
in den Wurzeln der Worte! daher die Uebertra-
gungen aus Gefuͤhl in Gefuͤhl, ſo daß die Bedeu-
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/116>, abgerufen am 22.07.2024.
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Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.