gen (207), und wie die tumultuarische Anhäufung der
Vor- stellungen während des Lebens (208) eine spätere Verar- beitung
nothwendig macht. Daß diese ganz anders nach dem Tode, als während des Treibens
in der sinnlichen Mitte der irdischen Dinge ausfallen müsse, leuchtet
unmit- telbar ein. Auch der Traum kann damit gar keine Aehn- lichkeit haben.
Denn die Sinne zwar werden durch den Schlaf verschlossen, aber eben derselbe
drückt auf die Vor- stellungen, so daß die Gesetze ihres Zusammenhangs nur theilweise wirken, woraus eben die Zerrbilder des Traums entstehen (216). Nach
dem Tode aber, frey vom Leibe, muß die Seele vollkommener wachen, als jemals im
Leben.
248. Das Product jedoch, welches die zum Gleich- gewichte hinstrebenden
Vorstellungen nach und nach ergeben, kann nicht bey zweyen menschlichen Seelen
vollkommen gleich ausfallen, vielmehr alle Verschiedenheiten des irdischen
Da- seyns müssen darauf Einfluß haben. Während die Vorstel- lungen des früh
gestorbenen Kindes sich sehr bald ihrem allgemeinen Gleichgewichte nähern, und
wahrend die Ge- danken des in seinem Gewissen ruhigen, in seinem Handeln und Wünschen einfachen Mannes keiner großen Umwälzun- gen fähig sind, kann
dagegen kein unruhiges, weitgreifendes, von der Welt gefesseltes, und plötzlich
derselben entrissenes, Gemüth die Stille der Ewigkeit anders, als nach einem
Durchgange durch heftige Umwandlungen erreichen, die we- gen des gänzlich
veränderten Zustandes leicht noch stürmischer und peinlicher seyn mögen, als
diejenigen, von denen der leidenschaftliche Mensch bey uns so häufig geplagt
wird.
249. Endlich aber, nach irgend einem Verlause dessen, was wir Stunden, Tage,
Jahre nennen, muß für jede Seele, wie tief und verworren auch ihre Unordnung
gewe- sen sey, eine solche Bewegung der Vorstellungen eintreten, die sich
immer gelinder, immer schwächer dem allgemeinen
gen (207), und wie die tumultuarische Anhäufung der
Vor- stellungen während des Lebens (208) eine spätere Verar- beitung
nothwendig macht. Daß diese ganz anders nach dem Tode, als während des Treibens
in der sinnlichen Mitte der irdischen Dinge ausfallen müsse, leuchtet
unmit- telbar ein. Auch der Traum kann damit gar keine Aehn- lichkeit haben.
Denn die Sinne zwar werden durch den Schlaf verschlossen, aber eben derselbe
drückt auf die Vor- stellungen, so daß die Gesetze ihres Zusammenhangs nur theilweise wirken, woraus eben die Zerrbilder des Traums entstehen (216). Nach
dem Tode aber, frey vom Leibe, muß die Seele vollkommener wachen, als jemals im
Leben.
248. Das Product jedoch, welches die zum Gleich- gewichte hinstrebenden
Vorstellungen nach und nach ergeben, kann nicht bey zweyen menschlichen Seelen
vollkommen gleich ausfallen, vielmehr alle Verschiedenheiten des irdischen
Da- seyns müssen darauf Einfluß haben. Während die Vorstel- lungen des früh
gestorbenen Kindes sich sehr bald ihrem allgemeinen Gleichgewichte nähern, und
wahrend die Ge- danken des in seinem Gewissen ruhigen, in seinem Handeln und Wünschen einfachen Mannes keiner großen Umwälzun- gen fähig sind, kann
dagegen kein unruhiges, weitgreifendes, von der Welt gefesseltes, und plötzlich
derselben entrissenes, Gemüth die Stille der Ewigkeit anders, als nach einem
Durchgange durch heftige Umwandlungen erreichen, die we- gen des gänzlich
veränderten Zustandes leicht noch stürmischer und peinlicher seyn mögen, als
diejenigen, von denen der leidenschaftliche Mensch bey uns so häufig geplagt
wird.
249. Endlich aber, nach irgend einem Verlause dessen, was wir Stunden, Tage,
Jahre nennen, muß für jede Seele, wie tief und verworren auch ihre Unordnung
gewe- sen sey, eine solche Bewegung der Vorstellungen eintreten, die sich
immer gelinder, immer schwächer dem allgemeinen
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[201/0209]
gen (207), und wie die tumultuarische Anhäufung der Vor-
stellungen während des Lebens (208) eine spätere Verar-
beitung nothwendig macht. Daß diese ganz anders nach
dem Tode, als während des Treibens in der sinnlichen
Mitte der irdischen Dinge ausfallen müsse, leuchtet unmit-
telbar ein. Auch der Traum kann damit gar keine Aehn-
lichkeit haben. Denn die Sinne zwar werden durch den
Schlaf verschlossen, aber eben derselbe drückt auf die Vor-
stellungen, so daß die Gesetze ihres Zusammenhangs nur
theilweise wirken, woraus eben die Zerrbilder des Traums
entstehen (216). Nach dem Tode aber, frey vom Leibe,
muß die Seele vollkommener wachen, als jemals im Leben.
248. Das Product jedoch, welches die zum Gleich-
gewichte hinstrebenden Vorstellungen nach und nach ergeben,
kann nicht bey zweyen menschlichen Seelen vollkommen gleich
ausfallen, vielmehr alle Verschiedenheiten des irdischen Da-
seyns müssen darauf Einfluß haben. Während die Vorstel-
lungen des früh gestorbenen Kindes sich sehr bald ihrem
allgemeinen Gleichgewichte nähern, und wahrend die Ge-
danken des in seinem Gewissen ruhigen, in seinem Handeln
und Wünschen einfachen Mannes keiner großen Umwälzun-
gen fähig sind, kann dagegen kein unruhiges, weitgreifendes,
von der Welt gefesseltes, und plötzlich derselben entrissenes,
Gemüth die Stille der Ewigkeit anders, als nach einem
Durchgange durch heftige Umwandlungen erreichen, die we-
gen des gänzlich veränderten Zustandes leicht noch stürmischer
und peinlicher seyn mögen, als diejenigen, von denen der
leidenschaftliche Mensch bey uns so häufig geplagt wird.
249. Endlich aber, nach irgend einem Verlause dessen,
was wir Stunden, Tage, Jahre nennen, muß für jede
Seele, wie tief und verworren auch ihre Unordnung gewe-
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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/209>, abgerufen am 16.02.2025.
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