Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.den psychischen Mechanismus und dessen mögliche
Hemmun- 145. Die Wuth, oder Tobsucht, eigentliche Raserey, Gleichwohl kommt das Handeln mit Willen und Anmerkung. Die sonderbare Frage: ob es Tob- *) Vergleiche die Abhandlung von Christian Jakob Kraus: de
paradoxo, edi interdum ab homine actiones voluntarias, ipso non solum invito, verum adeo reluctante; in dessen nachge- lassenen philosophischen Schriften. den psychischen Mechanismus und dessen mögliche
Hemmun- 145. Die Wuth, oder Tobsucht, eigentliche Raserey, Gleichwohl kommt das Handeln mit Willen und Anmerkung. Die sonderbare Frage: ob es Tob- *) Vergleiche die Abhandlung von Christian Jakob Kraus: de
paradoxo, edi interdum ab homine actiones voluntarias, ipso non solum invito, verum adeo reluctante; in dessen nachge- lassenen philosophischen Schriften. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0121" n="113"/> den psychischen Mechanismus und dessen mögliche Hemmun-<lb/> gen erkannt hat.</p><lb/> <p>145. Die Wuth, oder Tobsucht, eigentliche Raserey,<lb/> besteht in einem Drange zu körperlichen Handlungen, ohne<lb/> Zweck, auch wohl wider Willen. Sehr gewöhnlich ist es<lb/> ein Drang zu <hi rendition="#g">zerstörenden</hi> Handlungen, mit äußerster<lb/> und gefährlicher Heftigkeit. Daß hiebey körperliche Krank-<lb/> heit zum Grunde liegt, ist klar genug, denn im Geistigen<lb/> findet sich kein Princip der Einheit für diese Zustände.</p><lb/> <p>Gleichwohl kommt das Handeln mit <hi rendition="#g">Willen und<lb/> zugleich wider Willen</hi>, auch als rein psychologisches<lb/> Phänomen bey Gesunden vor <note place="foot" n="*)">Vergleiche die Abhandlung von <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Christian Jakob Kraus</hi></hi>: <hi rendition="#aq">de<lb/> paradoxo, edi interdum ab homine actiones voluntarias, ipso<lb/> non solum invito, verum adeo reluctante</hi>; in dessen nachge-<lb/> lassenen philosophischen Schriften.</note><lb/> . Daher darf man die<lb/> Handlungen der Rasenden noch lange nicht für bloß auto-<lb/> matisch halten, wenn sie schon denselben widerstreben. Die<lb/> Schwierigkeit liegt auch hier bloß in der falschen Ansicht<lb/> von dem Willen, als einem Seelenvermögen, welches sich<lb/> selbst zu widerstreiten scheint, indem es <hi rendition="#g">dasselbe will</hi><lb/> und zugleich <hi rendition="#g">nicht will</hi>.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Anmerkung</hi>. Die sonderbare Frage: ob es Tob-<lb/> sucht ohne Wahn geben könne? sollte wohl schon durch die<lb/> Erscheinungen an der Wasserscheu beantwortet seyn. Gewiß<lb/> kann die vom Unterleibe ausgehende stürmische Erregung<lb/> des Gefäßsystems einen Drang zu wüthenden Handlungen<lb/> hervorrufen, ohne das Gehirn gleichmäßig zu verletzen; eben<lb/> so gut als in der Cholera das Blut durch Nerveneinfluß<lb/> stockt und fast erstarrt, während die Besinnung des Ster-<lb/> benden wenig getrübt ist. Schon die Affecten veranlaßten<lb/> uns oben, der partiellen Wirkung gewisser Gemüthszustände <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [113/0121]
den psychischen Mechanismus und dessen mögliche Hemmun-
gen erkannt hat.
145. Die Wuth, oder Tobsucht, eigentliche Raserey,
besteht in einem Drange zu körperlichen Handlungen, ohne
Zweck, auch wohl wider Willen. Sehr gewöhnlich ist es
ein Drang zu zerstörenden Handlungen, mit äußerster
und gefährlicher Heftigkeit. Daß hiebey körperliche Krank-
heit zum Grunde liegt, ist klar genug, denn im Geistigen
findet sich kein Princip der Einheit für diese Zustände.
Gleichwohl kommt das Handeln mit Willen und
zugleich wider Willen, auch als rein psychologisches
Phänomen bey Gesunden vor *)
. Daher darf man die
Handlungen der Rasenden noch lange nicht für bloß auto-
matisch halten, wenn sie schon denselben widerstreben. Die
Schwierigkeit liegt auch hier bloß in der falschen Ansicht
von dem Willen, als einem Seelenvermögen, welches sich
selbst zu widerstreiten scheint, indem es dasselbe will
und zugleich nicht will.
Anmerkung. Die sonderbare Frage: ob es Tob-
sucht ohne Wahn geben könne? sollte wohl schon durch die
Erscheinungen an der Wasserscheu beantwortet seyn. Gewiß
kann die vom Unterleibe ausgehende stürmische Erregung
des Gefäßsystems einen Drang zu wüthenden Handlungen
hervorrufen, ohne das Gehirn gleichmäßig zu verletzen; eben
so gut als in der Cholera das Blut durch Nerveneinfluß
stockt und fast erstarrt, während die Besinnung des Ster-
benden wenig getrübt ist. Schon die Affecten veranlaßten
uns oben, der partiellen Wirkung gewisser Gemüthszustände
*) Vergleiche die Abhandlung von Christian Jakob Kraus: de
paradoxo, edi interdum ab homine actiones voluntarias, ipso
non solum invito, verum adeo reluctante; in dessen nachge-
lassenen philosophischen Schriften.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-07-05T12:13:38Z)
Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-07-05T12:13:38Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Hannah Sophia Glaum: Umwandlung in DTABf-konformes Markup.
(2013-07-05T12:13:38Z)
Stefanie Seim: Nachkorrekturen.
(2013-07-05T12:13:38Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |