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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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erinnern; jede wird, wie sie füglich kann, sich selbststän-
dig hervorarbeiten. Und in dieser Hinsicht mögen im-
merhin die psychologischen Meinungen sich theilen, ja
man mag immerhin Klage führen über die Verwirrung
die daraus entspringe. Die Ordnung kann sich von je-
nen andern Puncten her wieder einfinden; denn Logik,
Ethik, und allgemeine Metaphysik haben eigenthümliche
Principien; und jeder von ihnen ist eine eigne und be-
sondre Art angemessen diese Principien zu behandeln.
Und wenn jede nach ihrer Weise ihre Schuldigkeit er-
füllt, dann gerade werden auch die physiologischen Strei-
tigkeiten am leichtesten zur rechten Entscheidung ge-
langen.

Allein wir dürfen nicht vergessen, dass es mit der
Ausbildung der Wissenschaften auch auf dem Wege
eines psychologischen Mechanismus einhergeht. Die
Wirkung einer Wissenschaft auf die andern richtet sich
bey weitem nicht bloss darnach, ob ausdrücklich aus je-
ner, Principien und Lehnsätze für diese entnommen wer-
den. Sondern es giebt einen geheimen, einen unwill-
kührlichen Einfluss der Rücksichten, die man im Stillen
sich zu nehmen gezwungen fühlt. Manche sind so sehr
an die Seelenvermögen gewöhnt, dass diese Undinge, ob-
gleich an sich ohne alle Realität, doch gleich realen
Kräften wirken, indem sie als Vorurtheile und Meinun-
gen, in jenen Köpfen eine starke Herrschaft ausüben.
Viele Personen können gar nicht anders denken, als in-
dem sie sich daran lehnen; sie können es eben so we-
nig, als sie zu unterlassen vermögen ihr Denken durch
die Worte der Muttersprache im Stillen zu begleiten.
Hier würde es nichts helfen, zu protestiren gegen die
unerlaubte Einmischung; die falsche Gedankenverbindung
würde dennoch in aller Kraft fortwirken. Eine andre
Theorie allein, die den Platz für sich in Anspruch nimmt,
welchen der Irrthum usurpirte, diese kann Hülfe schaf-
fen. Nämlich für den, der aufrichtig die Wahrheit ver-
ehrt; und bereit ist, sich auf Verbesserung seiner Ein-

erinnern; jede wird, wie sie füglich kann, sich selbststän-
dig hervorarbeiten. Und in dieser Hinsicht mögen im-
merhin die psychologischen Meinungen sich theilen, ja
man mag immerhin Klage führen über die Verwirrung
die daraus entspringe. Die Ordnung kann sich von je-
nen andern Puncten her wieder einfinden; denn Logik,
Ethik, und allgemeine Metaphysik haben eigenthümliche
Principien; und jeder von ihnen ist eine eigne und be-
sondre Art angemessen diese Principien zu behandeln.
Und wenn jede nach ihrer Weise ihre Schuldigkeit er-
füllt, dann gerade werden auch die physiologischen Strei-
tigkeiten am leichtesten zur rechten Entscheidung ge-
langen.

Allein wir dürfen nicht vergessen, daſs es mit der
Ausbildung der Wissenschaften auch auf dem Wege
eines psychologischen Mechanismus einhergeht. Die
Wirkung einer Wissenschaft auf die andern richtet sich
bey weitem nicht bloſs darnach, ob ausdrücklich aus je-
ner, Principien und Lehnsätze für diese entnommen wer-
den. Sondern es giebt einen geheimen, einen unwill-
kührlichen Einfluſs der Rücksichten, die man im Stillen
sich zu nehmen gezwungen fühlt. Manche sind so sehr
an die Seelenvermögen gewöhnt, daſs diese Undinge, ob-
gleich an sich ohne alle Realität, doch gleich realen
Kräften wirken, indem sie als Vorurtheile und Meinun-
gen, in jenen Köpfen eine starke Herrschaft ausüben.
Viele Personen können gar nicht anders denken, als in-
dem sie sich daran lehnen; sie können es eben so we-
nig, als sie zu unterlassen vermögen ihr Denken durch
die Worte der Muttersprache im Stillen zu begleiten.
Hier würde es nichts helfen, zu protestiren gegen die
unerlaubte Einmischung; die falsche Gedankenverbindung
würde dennoch in aller Kraft fortwirken. Eine andre
Theorie allein, die den Platz für sich in Anspruch nimmt,
welchen der Irrthum usurpirte, diese kann Hülfe schaf-
fen. Nämlich für den, der aufrichtig die Wahrheit ver-
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[537/0572] erinnern; jede wird, wie sie füglich kann, sich selbststän- dig hervorarbeiten. Und in dieser Hinsicht mögen im- merhin die psychologischen Meinungen sich theilen, ja man mag immerhin Klage führen über die Verwirrung die daraus entspringe. Die Ordnung kann sich von je- nen andern Puncten her wieder einfinden; denn Logik, Ethik, und allgemeine Metaphysik haben eigenthümliche Principien; und jeder von ihnen ist eine eigne und be- sondre Art angemessen diese Principien zu behandeln. Und wenn jede nach ihrer Weise ihre Schuldigkeit er- füllt, dann gerade werden auch die physiologischen Strei- tigkeiten am leichtesten zur rechten Entscheidung ge- langen. Allein wir dürfen nicht vergessen, daſs es mit der Ausbildung der Wissenschaften auch auf dem Wege eines psychologischen Mechanismus einhergeht. Die Wirkung einer Wissenschaft auf die andern richtet sich bey weitem nicht bloſs darnach, ob ausdrücklich aus je- ner, Principien und Lehnsätze für diese entnommen wer- den. Sondern es giebt einen geheimen, einen unwill- kührlichen Einfluſs der Rücksichten, die man im Stillen sich zu nehmen gezwungen fühlt. Manche sind so sehr an die Seelenvermögen gewöhnt, daſs diese Undinge, ob- gleich an sich ohne alle Realität, doch gleich realen Kräften wirken, indem sie als Vorurtheile und Meinun- gen, in jenen Köpfen eine starke Herrschaft ausüben. Viele Personen können gar nicht anders denken, als in- dem sie sich daran lehnen; sie können es eben so we- nig, als sie zu unterlassen vermögen ihr Denken durch die Worte der Muttersprache im Stillen zu begleiten. Hier würde es nichts helfen, zu protestiren gegen die unerlaubte Einmischung; die falsche Gedankenverbindung würde dennoch in aller Kraft fortwirken. Eine andre Theorie allein, die den Platz für sich in Anspruch nimmt, welchen der Irrthum usurpirte, diese kann Hülfe schaf- fen. Nämlich für den, der aufrichtig die Wahrheit ver- ehrt; und bereit ist, sich auf Verbesserung seiner Ein-

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 537. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/572>, abgerufen am 07.05.2024.