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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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einige Leser sich leichter in den Plan meiner allgemei-
nen Pädagogik finden, von dem mir bekannt ist, dass er
nicht bloss öffentlichen Gegnern, sondern auch andern
Personen, hauptsächlich freylich aus Unbekanntschaft mit
meinen psychologischen und ethischen Grundsätzen, dun-
kel geblieben war. Für die Uebertreibung, als sollte oder
könnte der Zögling ganz und gar ein Geschöpf des Er-
ziehers werden, -- während die menschliche Seele, streng
genommen, sogar jede einfache Empfindung aus sich
selbst erzeugt, und überdies die Erfahrung, die Familie,
und der Staat, unaufhörlich den Menschen miterzieht,
endlich der Werth des Menschen schlechterdings nur
von der Frage abhängt, was er ist, und nicht im Ge-
ringsten von der andern Frage, wie er es wurde; -- für
jene Uebertreibung mögen Diejenigen, von denen sie her-
rührt, sich selber gebührend zur Rechenschaft ziehn.

Am wichtigsten endlich ist der Einfluss, welchen von
einer besseren Psychologie das gesammte philosophische
Studium zu erwarten hat.

Hier kommt es nicht darauf an, neue psychologische
Principien denjenigen Disciplinen unterzulegen, die bisher
gewohnt waren, sich bey der Psychologie Rath zu hoh-
len. Dadurch würde man nur auf andre Weise den alten
Fehler erneuern. Gerade die einzige Naturphilosophie,
oder Kosmologie, die sich am wenigsten um Psychologie
bekümmert, ja gar in den neuesten Zeiten Miene gemacht
hat, dieselbe unter ihre Oberaufsicht stellen zu wollen,
sie allein bedarf, den Begriff der innern Bildung ein-
facher Wesen vorzufinden, den ihr die menschliche
Seele, in dem einzigen, unserer Kenntniss zugänglichen
Beyspiele, darbietet. Die andern philosophischen Wis-
senschaften, Logik, Ethik, allgemeine Metaphysik, haben
Befreyung nöthig von der Vormundschaft, unter der sie
widerrechtlich gehalten wurden. Ihnen wird es nützlich
werden, wenn auch nur die Seelenlehre als ein strei-
tiger Gegenstand
ausser Stand gesetzt wird, auf sie
einzuwirken. Sie werden sich alsdann ihrer eignen Kräfte

einige Leser sich leichter in den Plan meiner allgemei-
nen Pädagogik finden, von dem mir bekannt ist, daſs er
nicht bloſs öffentlichen Gegnern, sondern auch andern
Personen, hauptsächlich freylich aus Unbekanntschaft mit
meinen psychologischen und ethischen Grundsätzen, dun-
kel geblieben war. Für die Uebertreibung, als sollte oder
könnte der Zögling ganz und gar ein Geschöpf des Er-
ziehers werden, — während die menschliche Seele, streng
genommen, sogar jede einfache Empfindung aus sich
selbst erzeugt, und überdies die Erfahrung, die Familie,
und der Staat, unaufhörlich den Menschen miterzieht,
endlich der Werth des Menschen schlechterdings nur
von der Frage abhängt, was er ist, und nicht im Ge-
ringsten von der andern Frage, wie er es wurde; — für
jene Uebertreibung mögen Diejenigen, von denen sie her-
rührt, sich selber gebührend zur Rechenschaft ziehn.

Am wichtigsten endlich ist der Einfluſs, welchen von
einer besseren Psychologie das gesammte philosophische
Studium zu erwarten hat.

Hier kommt es nicht darauf an, neue psychologische
Principien denjenigen Disciplinen unterzulegen, die bisher
gewohnt waren, sich bey der Psychologie Rath zu hoh-
len. Dadurch würde man nur auf andre Weise den alten
Fehler erneuern. Gerade die einzige Naturphilosophie,
oder Kosmologie, die sich am wenigsten um Psychologie
bekümmert, ja gar in den neuesten Zeiten Miene gemacht
hat, dieselbe unter ihre Oberaufsicht stellen zu wollen,
sie allein bedarf, den Begriff der innern Bildung ein-
facher Wesen vorzufinden, den ihr die menschliche
Seele, in dem einzigen, unserer Kenntniſs zugänglichen
Beyspiele, darbietet. Die andern philosophischen Wis-
senschaften, Logik, Ethik, allgemeine Metaphysik, haben
Befreyung nöthig von der Vormundschaft, unter der sie
widerrechtlich gehalten wurden. Ihnen wird es nützlich
werden, wenn auch nur die Seelenlehre als ein strei-
tiger Gegenstand
auſser Stand gesetzt wird, auf sie
einzuwirken. Sie werden sich alsdann ihrer eignen Kräfte

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[536/0571] einige Leser sich leichter in den Plan meiner allgemei- nen Pädagogik finden, von dem mir bekannt ist, daſs er nicht bloſs öffentlichen Gegnern, sondern auch andern Personen, hauptsächlich freylich aus Unbekanntschaft mit meinen psychologischen und ethischen Grundsätzen, dun- kel geblieben war. Für die Uebertreibung, als sollte oder könnte der Zögling ganz und gar ein Geschöpf des Er- ziehers werden, — während die menschliche Seele, streng genommen, sogar jede einfache Empfindung aus sich selbst erzeugt, und überdies die Erfahrung, die Familie, und der Staat, unaufhörlich den Menschen miterzieht, endlich der Werth des Menschen schlechterdings nur von der Frage abhängt, was er ist, und nicht im Ge- ringsten von der andern Frage, wie er es wurde; — für jene Uebertreibung mögen Diejenigen, von denen sie her- rührt, sich selber gebührend zur Rechenschaft ziehn. Am wichtigsten endlich ist der Einfluſs, welchen von einer besseren Psychologie das gesammte philosophische Studium zu erwarten hat. Hier kommt es nicht darauf an, neue psychologische Principien denjenigen Disciplinen unterzulegen, die bisher gewohnt waren, sich bey der Psychologie Rath zu hoh- len. Dadurch würde man nur auf andre Weise den alten Fehler erneuern. Gerade die einzige Naturphilosophie, oder Kosmologie, die sich am wenigsten um Psychologie bekümmert, ja gar in den neuesten Zeiten Miene gemacht hat, dieselbe unter ihre Oberaufsicht stellen zu wollen, sie allein bedarf, den Begriff der innern Bildung ein- facher Wesen vorzufinden, den ihr die menschliche Seele, in dem einzigen, unserer Kenntniſs zugänglichen Beyspiele, darbietet. Die andern philosophischen Wis- senschaften, Logik, Ethik, allgemeine Metaphysik, haben Befreyung nöthig von der Vormundschaft, unter der sie widerrechtlich gehalten wurden. Ihnen wird es nützlich werden, wenn auch nur die Seelenlehre als ein strei- tiger Gegenstand auſser Stand gesetzt wird, auf sie einzuwirken. Sie werden sich alsdann ihrer eignen Kräfte

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 536. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/571>, abgerufen am 07.05.2024.