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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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bey ihnen bevestigen, und dass die schwächeren vor je-
nen, als den stärkeren, zurückweichen. Der Hauptbestre-
bungen können jedoch mehrere seyn, die in verschie-
denen
Vorstellungsmassen ihren Sitz haben, und die
entweder zusammen oder wider einander wirken; ein äu-
sserst wichtiger Gegenstand für die Erziehung, und be-
sonders darum, weil sie sittliche Erziehung seyn soll.
Denn gewöhnlich hat der Mensch für das Sittliche ge-
wisse eigne Vorstellungsmassen, die sich bey ihm ausbil-
den, indem er sich selbst zum Gegenstande seiner Beob-
achtung und Kritik macht. Nun hängt aber der Cha-
rakter von allen stärkeren Vorstellungsmassen und den
in ihnen begründeten Bestrebungen zusammengenommen
ab. Daher darf keine solche Masse der Sorgfalt des Er-
ziehers entgehn. Diejenigen, welche ohne sein Zuthun
entstanden, muss er bearbeiten, aber besonders muss er
bemüht seyn, möglichst starke und planmässig erzeugte
Vorstellungsmassen selbst in das Gemüth seines Zöglings
zu bringen; von solcher Beschaffenheit, dass sich in ihnen
nach dem psychologischen Mechanismus Bestrebungen
entwickeln, die entweder selbst von sittlicher Art sind,
oder doch dem Sittlichen in der Ausführung zu Hülfe
kommen. Hierzu findet sich die wichtigste und schönste
Gelegenheit im Unterrichte; so dass auf diese Weise die
Unterrichts-Lehre mit der von der Zucht sehr genau zu-
sammenhängt. Es ist sogar bequem für die Darstellung
der Pädagogik, die Unterrichts-Lehre voranzustellen, und
die unmittelbaren Rücksichten auf die Charakter-Bildung
nachfolgen zu lassen. Denn die Verwickelung der letzte-
ren wird zu gross und zu schwer zu überschauen, wenn
man nicht hierbey aus der Unterrichts-Lehre manches als
bekannt voraussetzen kann. Nur wird es alsdann noth-
wendig, in der Begründung der Vorschriften zum Unter-
richte einiges noch zu verschweigen, was erst durch die
Beziehung auf die sittliche Bildung sein volles Licht er-
halten soll.

Nach diesen kurzen Erläuterungen werden vielleicht

bey ihnen bevestigen, und daſs die schwächeren vor je-
nen, als den stärkeren, zurückweichen. Der Hauptbestre-
bungen können jedoch mehrere seyn, die in verschie-
denen
Vorstellungsmassen ihren Sitz haben, und die
entweder zusammen oder wider einander wirken; ein äu-
ſserst wichtiger Gegenstand für die Erziehung, und be-
sonders darum, weil sie sittliche Erziehung seyn soll.
Denn gewöhnlich hat der Mensch für das Sittliche ge-
wisse eigne Vorstellungsmassen, die sich bey ihm ausbil-
den, indem er sich selbst zum Gegenstande seiner Beob-
achtung und Kritik macht. Nun hängt aber der Cha-
rakter von allen stärkeren Vorstellungsmassen und den
in ihnen begründeten Bestrebungen zusammengenommen
ab. Daher darf keine solche Masse der Sorgfalt des Er-
ziehers entgehn. Diejenigen, welche ohne sein Zuthun
entstanden, muſs er bearbeiten, aber besonders muſs er
bemüht seyn, möglichst starke und planmäſsig erzeugte
Vorstellungsmassen selbst in das Gemüth seines Zöglings
zu bringen; von solcher Beschaffenheit, daſs sich in ihnen
nach dem psychologischen Mechanismus Bestrebungen
entwickeln, die entweder selbst von sittlicher Art sind,
oder doch dem Sittlichen in der Ausführung zu Hülfe
kommen. Hierzu findet sich die wichtigste und schönste
Gelegenheit im Unterrichte; so daſs auf diese Weise die
Unterrichts-Lehre mit der von der Zucht sehr genau zu-
sammenhängt. Es ist sogar bequem für die Darstellung
der Pädagogik, die Unterrichts-Lehre voranzustellen, und
die unmittelbaren Rücksichten auf die Charakter-Bildung
nachfolgen zu lassen. Denn die Verwickelung der letzte-
ren wird zu groſs und zu schwer zu überschauen, wenn
man nicht hierbey aus der Unterrichts-Lehre manches als
bekannt voraussetzen kann. Nur wird es alsdann noth-
wendig, in der Begründung der Vorschriften zum Unter-
richte einiges noch zu verschweigen, was erst durch die
Beziehung auf die sittliche Bildung sein volles Licht er-
halten soll.

Nach diesen kurzen Erläuterungen werden vielleicht

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[535/0570] bey ihnen bevestigen, und daſs die schwächeren vor je- nen, als den stärkeren, zurückweichen. Der Hauptbestre- bungen können jedoch mehrere seyn, die in verschie- denen Vorstellungsmassen ihren Sitz haben, und die entweder zusammen oder wider einander wirken; ein äu- ſserst wichtiger Gegenstand für die Erziehung, und be- sonders darum, weil sie sittliche Erziehung seyn soll. Denn gewöhnlich hat der Mensch für das Sittliche ge- wisse eigne Vorstellungsmassen, die sich bey ihm ausbil- den, indem er sich selbst zum Gegenstande seiner Beob- achtung und Kritik macht. Nun hängt aber der Cha- rakter von allen stärkeren Vorstellungsmassen und den in ihnen begründeten Bestrebungen zusammengenommen ab. Daher darf keine solche Masse der Sorgfalt des Er- ziehers entgehn. Diejenigen, welche ohne sein Zuthun entstanden, muſs er bearbeiten, aber besonders muſs er bemüht seyn, möglichst starke und planmäſsig erzeugte Vorstellungsmassen selbst in das Gemüth seines Zöglings zu bringen; von solcher Beschaffenheit, daſs sich in ihnen nach dem psychologischen Mechanismus Bestrebungen entwickeln, die entweder selbst von sittlicher Art sind, oder doch dem Sittlichen in der Ausführung zu Hülfe kommen. Hierzu findet sich die wichtigste und schönste Gelegenheit im Unterrichte; so daſs auf diese Weise die Unterrichts-Lehre mit der von der Zucht sehr genau zu- sammenhängt. Es ist sogar bequem für die Darstellung der Pädagogik, die Unterrichts-Lehre voranzustellen, und die unmittelbaren Rücksichten auf die Charakter-Bildung nachfolgen zu lassen. Denn die Verwickelung der letzte- ren wird zu groſs und zu schwer zu überschauen, wenn man nicht hierbey aus der Unterrichts-Lehre manches als bekannt voraussetzen kann. Nur wird es alsdann noth- wendig, in der Begründung der Vorschriften zum Unter- richte einiges noch zu verschweigen, was erst durch die Beziehung auf die sittliche Bildung sein volles Licht er- halten soll. Nach diesen kurzen Erläuterungen werden vielleicht

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/570>, abgerufen am 24.11.2024.