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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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winn an Aufschlüssen verbunden seyn. Jedem Gelehrten,
also auch jedem Historiker, pflegt Etwas anzukleben von
den Irrthümern der philosophischen Schulen, die zur Zeit
seiner Bildung die herrschenden waren. Noch mehr! Ich
müsste mich sehr irren, oder die empirische Menschen-
kunde kluger Köpfe, die vielleicht alle Philosophie has-
sen, und sich auss sorgfältigste an reine Erfahrung hal-
ten, ist allemal beladen mit Vorurtheilen, theils ihrer in-
dividuellen Stimmung, theils ihres Standes, ihres Orts
und ihrer Geschäfte. Wie sollte es anders seyn? Der
Mensch beurtheilt Andre nach sich; denn unmittelbar
kann er nun einmal in die Gemüther der Andern nicht
hineinschauen. Je mehr er das Gegengewicht verschmäht,
welches die allgemeinen Theorien wider die Zufälligkeit
der individuellen Ansichten darbieten, desto mehr muss
er nothwendig den letztern sich Preis geben, oder er
würde mit der ganz bedeutungslosen Oberfläche der Er-
scheinungen in der Menschenwelt sich begnügen müssen,
welches unter den Historikern höchstens der Chroniken-
schreiber thut. Daher kann die Maxime des blossen, gar
nicht philosophirenden, Empirismus nicht anders als dem
Historiker Nachtheil bringen. Und wenn er denn durch-
aus einiger Hülfe von Seiten der Theorie bedarf, um der
Beschränktheit seiner Individualität nur erst inne zu wer-
den, so ist nun keine Frage, dass ihm hier eine wahre
Psychologie, selbst eine noch sehr unvollendete, bessere
Dienste leisten wird, als eine falsche, die so leicht ein
Vorurtheil an die Stelle des andern setzt.

Deutlicher schon werden die Vortheile einer verbes-
serten Psychologie, indem wir auf die Pädagogik zurück-
kommen. Zwar bin ich sehr weit entfernt, irgend welche
Theile der Erziehungspraxis im Detail nach psycholo-
gischen Grundsätzen allein bestimmen zu wollen. Das
Detail hängt immer, unmittelbar und zunächst, grossen
Theils von Beobachtung, Versuch und Uebung ab. Der
Erzieher muss Gewandtheit besitzen, um sich nach dem
Augenblick richten und schicken zu können, er darf sich

winn an Aufschlüssen verbunden seyn. Jedem Gelehrten,
also auch jedem Historiker, pflegt Etwas anzukleben von
den Irrthümern der philosophischen Schulen, die zur Zeit
seiner Bildung die herrschenden waren. Noch mehr! Ich
müſste mich sehr irren, oder die empirische Menschen-
kunde kluger Köpfe, die vielleicht alle Philosophie has-
sen, und sich auſs sorgfältigste an reine Erfahrung hal-
ten, ist allemal beladen mit Vorurtheilen, theils ihrer in-
dividuellen Stimmung, theils ihres Standes, ihres Orts
und ihrer Geschäfte. Wie sollte es anders seyn? Der
Mensch beurtheilt Andre nach sich; denn unmittelbar
kann er nun einmal in die Gemüther der Andern nicht
hineinschauen. Je mehr er das Gegengewicht verschmäht,
welches die allgemeinen Theorien wider die Zufälligkeit
der individuellen Ansichten darbieten, desto mehr muſs
er nothwendig den letztern sich Preis geben, oder er
würde mit der ganz bedeutungslosen Oberfläche der Er-
scheinungen in der Menschenwelt sich begnügen müssen,
welches unter den Historikern höchstens der Chroniken-
schreiber thut. Daher kann die Maxime des bloſsen, gar
nicht philosophirenden, Empirismus nicht anders als dem
Historiker Nachtheil bringen. Und wenn er denn durch-
aus einiger Hülfe von Seiten der Theorie bedarf, um der
Beschränktheit seiner Individualität nur erst inne zu wer-
den, so ist nun keine Frage, daſs ihm hier eine wahre
Psychologie, selbst eine noch sehr unvollendete, bessere
Dienste leisten wird, als eine falsche, die so leicht ein
Vorurtheil an die Stelle des andern setzt.

Deutlicher schon werden die Vortheile einer verbes-
serten Psychologie, indem wir auf die Pädagogik zurück-
kommen. Zwar bin ich sehr weit entfernt, irgend welche
Theile der Erziehungspraxis im Detail nach psycholo-
gischen Grundsätzen allein bestimmen zu wollen. Das
Detail hängt immer, unmittelbar und zunächst, groſsen
Theils von Beobachtung, Versuch und Uebung ab. Der
Erzieher muſs Gewandtheit besitzen, um sich nach dem
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[533/0568] winn an Aufschlüssen verbunden seyn. Jedem Gelehrten, also auch jedem Historiker, pflegt Etwas anzukleben von den Irrthümern der philosophischen Schulen, die zur Zeit seiner Bildung die herrschenden waren. Noch mehr! Ich müſste mich sehr irren, oder die empirische Menschen- kunde kluger Köpfe, die vielleicht alle Philosophie has- sen, und sich auſs sorgfältigste an reine Erfahrung hal- ten, ist allemal beladen mit Vorurtheilen, theils ihrer in- dividuellen Stimmung, theils ihres Standes, ihres Orts und ihrer Geschäfte. Wie sollte es anders seyn? Der Mensch beurtheilt Andre nach sich; denn unmittelbar kann er nun einmal in die Gemüther der Andern nicht hineinschauen. Je mehr er das Gegengewicht verschmäht, welches die allgemeinen Theorien wider die Zufälligkeit der individuellen Ansichten darbieten, desto mehr muſs er nothwendig den letztern sich Preis geben, oder er würde mit der ganz bedeutungslosen Oberfläche der Er- scheinungen in der Menschenwelt sich begnügen müssen, welches unter den Historikern höchstens der Chroniken- schreiber thut. Daher kann die Maxime des bloſsen, gar nicht philosophirenden, Empirismus nicht anders als dem Historiker Nachtheil bringen. Und wenn er denn durch- aus einiger Hülfe von Seiten der Theorie bedarf, um der Beschränktheit seiner Individualität nur erst inne zu wer- den, so ist nun keine Frage, daſs ihm hier eine wahre Psychologie, selbst eine noch sehr unvollendete, bessere Dienste leisten wird, als eine falsche, die so leicht ein Vorurtheil an die Stelle des andern setzt. Deutlicher schon werden die Vortheile einer verbes- serten Psychologie, indem wir auf die Pädagogik zurück- kommen. Zwar bin ich sehr weit entfernt, irgend welche Theile der Erziehungspraxis im Detail nach psycholo- gischen Grundsätzen allein bestimmen zu wollen. Das Detail hängt immer, unmittelbar und zunächst, groſsen Theils von Beobachtung, Versuch und Uebung ab. Der Erzieher muſs Gewandtheit besitzen, um sich nach dem Augenblick richten und schicken zu können, er darf sich

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/568>, abgerufen am 24.11.2024.