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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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zuerst metaphysische Forschungen begannen, man ent-
fernte sich von der wahren Metaphysik, der jene schon
nahe gekommen waren, darum, weil man die ganze Auf-
gabe dieser Wissenschaft, die ungereimten Erfahrungs-
begriffe zu berichtigen, aus den Augen verlor. Statt des-
sen glaubte man, von der Seele, oder doch von dem
Gemüthe, oder mindestens doch von dem Bewusstseyn
und den darin arbeitenden Vermögen, oder doch endlich
zum allerwenigsten von dem Ich, eine Theorie ausstel-
len zu können. Man merkte nicht, dass man hier gerade
mit denselben Schwierigkeiten, nur in einem speciellen
und eben darum noch mehr verwickelten Falle, belastet
war, die schon die Alten genöthigt hatten, Auswege
aus dem Erfahrungskreise zu suchen, und sich in einer
Welt von Noumenen anzubauen. Freylich aber konnte
des seichten Geredes, woran sich ein grösseres Publicum
zu erfreuen pflegt, über die Thatsachen des Bewusstseyns
genug geführt werden. Und seitdem dieses Philosophie
hiess, galten natürlich Platons Ideen und das Eine der
Eleaten für Träume, die erst wieder zu Ehren kamen,
als man sie durch die, leider nur zu sehr entstellenden
Brillen des Spinoza zu betrachten anfing!

Die Psychologie wirkte falsch auf die Pädagogik.
Dieser drang sie ihre Seelenvermögen, und damit das
sinnlose Problem auf, die einzelnen Vermögen sowohl als
deren Gesammtheit zu stärken und mit allerley Fertigkei-
ten auszurüsten. So ungefähr wie man die Gliedmaassen,
die Muskeln des Leibes, durch Uebung stärkt, weil der
Reiz zur Entwickelung des organischen Baues wirkt.
Nun erschien die menschliche Seele unter dem Bilde ei-
ner Zwiebel, die unter allerley Hüllen ihre schon orga-
nisirte Blume versteckt hält, und nur auf Nahrung war-
tet, um sich auszustrecken, und ihr Verborgenes zu ent-
falten. Demnach sollte nun auch der Seele Nahrung zu-
geführt werden, damit sie sich entwickele; es sollten die
Seelenvermögen durch allerley Gymnastik aufgeregt wer-
den. Nimmt man diese Ausdrücke für Gleichnisse, so

heisst

zuerst metaphysische Forschungen begannen, man ent-
fernte sich von der wahren Metaphysik, der jene schon
nahe gekommen waren, darum, weil man die ganze Auf-
gabe dieser Wissenschaft, die ungereimten Erfahrungs-
begriffe zu berichtigen, aus den Augen verlor. Statt des-
sen glaubte man, von der Seele, oder doch von dem
Gemüthe, oder mindestens doch von dem Bewuſstseyn
und den darin arbeitenden Vermögen, oder doch endlich
zum allerwenigsten von dem Ich, eine Theorie auſstel-
len zu können. Man merkte nicht, daſs man hier gerade
mit denselben Schwierigkeiten, nur in einem speciellen
und eben darum noch mehr verwickelten Falle, belastet
war, die schon die Alten genöthigt hatten, Auswege
aus dem Erfahrungskreise zu suchen, und sich in einer
Welt von Noumenen anzubauen. Freylich aber konnte
des seichten Geredes, woran sich ein gröſseres Publicum
zu erfreuen pflegt, über die Thatsachen des Bewuſstseyns
genug geführt werden. Und seitdem dieses Philosophie
hieſs, galten natürlich Platons Ideen und das Eine der
Eleaten für Träume, die erst wieder zu Ehren kamen,
als man sie durch die, leider nur zu sehr entstellenden
Brillen des Spinoza zu betrachten anfing!

Die Psychologie wirkte falsch auf die Pädagogik.
Dieser drang sie ihre Seelenvermögen, und damit das
sinnlose Problem auf, die einzelnen Vermögen sowohl als
deren Gesammtheit zu stärken und mit allerley Fertigkei-
ten auszurüsten. So ungefähr wie man die Gliedmaaſsen,
die Muskeln des Leibes, durch Uebung stärkt, weil der
Reiz zur Entwickelung des organischen Baues wirkt.
Nun erschien die menschliche Seele unter dem Bilde ei-
ner Zwiebel, die unter allerley Hüllen ihre schon orga-
nisirte Blume versteckt hält, und nur auf Nahrung war-
tet, um sich auszustrecken, und ihr Verborgenes zu ent-
falten. Demnach sollte nun auch der Seele Nahrung zu-
geführt werden, damit sie sich entwickele; es sollten die
Seelenvermögen durch allerley Gymnastik aufgeregt wer-
den. Nimmt man diese Ausdrücke für Gleichnisse, so

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[528/0563] zuerst metaphysische Forschungen begannen, man ent- fernte sich von der wahren Metaphysik, der jene schon nahe gekommen waren, darum, weil man die ganze Auf- gabe dieser Wissenschaft, die ungereimten Erfahrungs- begriffe zu berichtigen, aus den Augen verlor. Statt des- sen glaubte man, von der Seele, oder doch von dem Gemüthe, oder mindestens doch von dem Bewuſstseyn und den darin arbeitenden Vermögen, oder doch endlich zum allerwenigsten von dem Ich, eine Theorie auſstel- len zu können. Man merkte nicht, daſs man hier gerade mit denselben Schwierigkeiten, nur in einem speciellen und eben darum noch mehr verwickelten Falle, belastet war, die schon die Alten genöthigt hatten, Auswege aus dem Erfahrungskreise zu suchen, und sich in einer Welt von Noumenen anzubauen. Freylich aber konnte des seichten Geredes, woran sich ein gröſseres Publicum zu erfreuen pflegt, über die Thatsachen des Bewuſstseyns genug geführt werden. Und seitdem dieses Philosophie hieſs, galten natürlich Platons Ideen und das Eine der Eleaten für Träume, die erst wieder zu Ehren kamen, als man sie durch die, leider nur zu sehr entstellenden Brillen des Spinoza zu betrachten anfing! Die Psychologie wirkte falsch auf die Pädagogik. Dieser drang sie ihre Seelenvermögen, und damit das sinnlose Problem auf, die einzelnen Vermögen sowohl als deren Gesammtheit zu stärken und mit allerley Fertigkei- ten auszurüsten. So ungefähr wie man die Gliedmaaſsen, die Muskeln des Leibes, durch Uebung stärkt, weil der Reiz zur Entwickelung des organischen Baues wirkt. Nun erschien die menschliche Seele unter dem Bilde ei- ner Zwiebel, die unter allerley Hüllen ihre schon orga- nisirte Blume versteckt hält, und nur auf Nahrung war- tet, um sich auszustrecken, und ihr Verborgenes zu ent- falten. Demnach sollte nun auch der Seele Nahrung zu- geführt werden, damit sie sich entwickele; es sollten die Seelenvermögen durch allerley Gymnastik aufgeregt wer- den. Nimmt man diese Ausdrücke für Gleichnisse, so heiſst

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 528. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/563>, abgerufen am 24.11.2024.