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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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an, indem er bey seinem kategorischen Imperative gar
nicht nach irgend welchen theoretischen Gründen
fragte. Und so war es recht; doch bog er sogleich wie-
der aus dem Geleise, indem er nicht bloss bey der Lo-
gik (bey der Allgemeinheit des Gesetzes) nach dem
Inhalte des ersten Princips suchte, nicht bloss blindlings
annahm, die praktische Philosophie müsse von Gebo-
ten
ursprünglich beginnen, sondern auch sogleich auf
die Angabe eines Seelenvermögens ausging, welches
geschickt seyn sollte, das moralische Gebot ins Werk zu
richten. So kam seine transscendentale Freyheit zum
Vorschein. Wer täuschte ihn hier, wenn nicht die falsche
Psychologie, an deren verborgenen Qualitäten, die See-
lenvermögen, er einmal gewöhnt war? Und was war die
Folge? Man sieht sie in Fichte's Sittenlehre. Die For-
mel des kategorischen Imperativ's veraltete bald; aber
die transscendentale Freyheit blieb; und die Sittenlehre
verwandelte sich in eine Historie von den Aeusserun-
gen dieser Freyheit. So verlor diese Wissenschaft ganz
und gar die ihr gebührende Gestalt; und Fichte's Sit-
tenlehre ist, gerade wie Spinoza's Ethik, zwar in man-
cher andern Absicht ein sehr schätzbares Werk, aber
zugleich ein Muster, wie man eine Sittenlehre nicht
schreiben solle. Denn sie ist von vorn herein ein theo-
retisches, und eben darum kein praktisches Werk.

Die Psychologie wirkte falsch auf die Metaphysik.
Dies ist nun vollends eine Wirkung im Grossen, die man
sogleich gewahr wird, wenn man die ganze neuere Phi-
losophie mit jener alten bis auf Aristoteles vergleicht.
Die späteren Zeiten ergaben sich grossentheils der Ein-
bildung, etwas recht vortreffliches und verdienstliches zu
unternehmen, wenn sie die Philosophie gewaltsam in die
Wohnungen der Menschen einklemmten, wenn sie überall
den Menschen zum Mittelpuncte der Untersuchungen und
Bestrebungen machten. So wurden jene Aufschwünge
des menschlichen Geistes vor Aristoteles, vergessen; man
begriff nicht mehr, was diejenigen getrieben hatten, die

an, indem er bey seinem kategorischen Imperative gar
nicht nach irgend welchen theoretischen Gründen
fragte. Und so war es recht; doch bog er sogleich wie-
der aus dem Geleise, indem er nicht bloſs bey der Lo-
gik (bey der Allgemeinheit des Gesetzes) nach dem
Inhalte des ersten Princips suchte, nicht bloſs blindlings
annahm, die praktische Philosophie müsse von Gebo-
ten
ursprünglich beginnen, sondern auch sogleich auf
die Angabe eines Seelenvermögens ausging, welches
geschickt seyn sollte, das moralische Gebot ins Werk zu
richten. So kam seine transscendentale Freyheit zum
Vorschein. Wer täuschte ihn hier, wenn nicht die falsche
Psychologie, an deren verborgenen Qualitäten, die See-
lenvermögen, er einmal gewöhnt war? Und was war die
Folge? Man sieht sie in Fichte’s Sittenlehre. Die For-
mel des kategorischen Imperativ’s veraltete bald; aber
die transscendentale Freyheit blieb; und die Sittenlehre
verwandelte sich in eine Historie von den Aeuſserun-
gen dieser Freyheit. So verlor diese Wissenschaft ganz
und gar die ihr gebührende Gestalt; und Fichte’s Sit-
tenlehre ist, gerade wie Spinoza’s Ethik, zwar in man-
cher andern Absicht ein sehr schätzbares Werk, aber
zugleich ein Muster, wie man eine Sittenlehre nicht
schreiben solle. Denn sie ist von vorn herein ein theo-
retisches, und eben darum kein praktisches Werk.

Die Psychologie wirkte falsch auf die Metaphysik.
Dies ist nun vollends eine Wirkung im Groſsen, die man
sogleich gewahr wird, wenn man die ganze neuere Phi-
losophie mit jener alten bis auf Aristoteles vergleicht.
Die späteren Zeiten ergaben sich groſsentheils der Ein-
bildung, etwas recht vortreffliches und verdienstliches zu
unternehmen, wenn sie die Philosophie gewaltsam in die
Wohnungen der Menschen einklemmten, wenn sie überall
den Menschen zum Mittelpuncte der Untersuchungen und
Bestrebungen machten. So wurden jene Aufschwünge
des menschlichen Geistes vor Aristoteles, vergessen; man
begriff nicht mehr, was diejenigen getrieben hatten, die

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[527/0562] an, indem er bey seinem kategorischen Imperative gar nicht nach irgend welchen theoretischen Gründen fragte. Und so war es recht; doch bog er sogleich wie- der aus dem Geleise, indem er nicht bloſs bey der Lo- gik (bey der Allgemeinheit des Gesetzes) nach dem Inhalte des ersten Princips suchte, nicht bloſs blindlings annahm, die praktische Philosophie müsse von Gebo- ten ursprünglich beginnen, sondern auch sogleich auf die Angabe eines Seelenvermögens ausging, welches geschickt seyn sollte, das moralische Gebot ins Werk zu richten. So kam seine transscendentale Freyheit zum Vorschein. Wer täuschte ihn hier, wenn nicht die falsche Psychologie, an deren verborgenen Qualitäten, die See- lenvermögen, er einmal gewöhnt war? Und was war die Folge? Man sieht sie in Fichte’s Sittenlehre. Die For- mel des kategorischen Imperativ’s veraltete bald; aber die transscendentale Freyheit blieb; und die Sittenlehre verwandelte sich in eine Historie von den Aeuſserun- gen dieser Freyheit. So verlor diese Wissenschaft ganz und gar die ihr gebührende Gestalt; und Fichte’s Sit- tenlehre ist, gerade wie Spinoza’s Ethik, zwar in man- cher andern Absicht ein sehr schätzbares Werk, aber zugleich ein Muster, wie man eine Sittenlehre nicht schreiben solle. Denn sie ist von vorn herein ein theo- retisches, und eben darum kein praktisches Werk. Die Psychologie wirkte falsch auf die Metaphysik. Dies ist nun vollends eine Wirkung im Groſsen, die man sogleich gewahr wird, wenn man die ganze neuere Phi- losophie mit jener alten bis auf Aristoteles vergleicht. Die späteren Zeiten ergaben sich groſsentheils der Ein- bildung, etwas recht vortreffliches und verdienstliches zu unternehmen, wenn sie die Philosophie gewaltsam in die Wohnungen der Menschen einklemmten, wenn sie überall den Menschen zum Mittelpuncte der Untersuchungen und Bestrebungen machten. So wurden jene Aufschwünge des menschlichen Geistes vor Aristoteles, vergessen; man begriff nicht mehr, was diejenigen getrieben hatten, die

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 527. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/562>, abgerufen am 24.11.2024.