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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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sich hier in Schwellen des gesellschaftlichen
Einflusses
verwandeln. Es leuchtet nämlich unmittel-
bar ein, dass wenige stärkere, oder von Anhängern
unterstützte Personen, eine wie immer grosse Zahl
von schwächern, einzeln stehenden Individuen, bey
nur einigermaassen starkem Conflicte aller Kräfte gegen-
einander, nach den oben entwickelten Rechnungen, völ-
lig unwirksam
machen können und müssen. Alsdann
bleibt aber zwischen den stärkern Personen oder Par-
theyen ein Druck und Gegendruck, wie wenn jene Schwa-
chen gar nicht vorhanden gewesen wären. Von der Thä-
tigkeit eines Jeden wird ein Theil gebunden; Niemand
bleibt ganz frey von der Hemmung. (Der völlig und
absolut-Unabhängige des Herrn von Haller ist nirgends
in der Rechnung zu finden.) Auch kann Einer, oder
Eine Parthey, die ganz allein aus der Menge hervorragt,
die Schwächern, wenn sie einander nahe gleich sind,
niemals ganz zu Boden drücken, sondern es müssen der
Mächtigern Mehrere, einander entgegenstrebende, vorhan-
den seyn, wofern das Angegebene erfolgen soll.

Die mathematischen Beweise dieser Sätze liegen, un-
ter Voraussetzung unserer Hypothese (welche mehr oder
weniger zutreffen wird) vollständig, und ohne irgend ei-
ner Erläuterung zu bedürfen, in den §§. 41--56.

Man muss aber die Hypothese nicht unbehutsam dem
heutigen gesellschaftlichen Zustande europäischer Län-
der anpassen wollen; denn von unsern ausgebildeten ge-
sellschaftlichen Verknüpfungen, welche als das Gebäude
über dem Grunde errichtet sind, und ihn gleichsam be-
decken, und verbergen, ist hier durchaus nicht die Rede.
Vielmehr ist das Vorstehende ein Hülfsmittel, um von
dem Zustande solcher Zeiten einen Begriff zu erlangen,
in welchen es eine Menge ganz kleiner Ortschaften und
Gemeinden gab, die einander fremd waren, und für die
Fremder und Feind gleich galten; -- oder besser, in
welchen selbst die kleinsten Gemeinden noch fehlten,
und eben im Begriff waren zu entstehen.

sich hier in Schwellen des gesellschaftlichen
Einflusses
verwandeln. Es leuchtet nämlich unmittel-
bar ein, daſs wenige stärkere, oder von Anhängern
unterstützte Personen, eine wie immer groſse Zahl
von schwächern, einzeln stehenden Individuen, bey
nur einigermaaſsen starkem Conflicte aller Kräfte gegen-
einander, nach den oben entwickelten Rechnungen, völ-
lig unwirksam
machen können und müssen. Alsdann
bleibt aber zwischen den stärkern Personen oder Par-
theyen ein Druck und Gegendruck, wie wenn jene Schwa-
chen gar nicht vorhanden gewesen wären. Von der Thä-
tigkeit eines Jeden wird ein Theil gebunden; Niemand
bleibt ganz frey von der Hemmung. (Der völlig und
absolut-Unabhängige des Herrn von Haller ist nirgends
in der Rechnung zu finden.) Auch kann Einer, oder
Eine Parthey, die ganz allein aus der Menge hervorragt,
die Schwächern, wenn sie einander nahe gleich sind,
niemals ganz zu Boden drücken, sondern es müssen der
Mächtigern Mehrere, einander entgegenstrebende, vorhan-
den seyn, wofern das Angegebene erfolgen soll.

Die mathematischen Beweise dieser Sätze liegen, un-
ter Voraussetzung unserer Hypothese (welche mehr oder
weniger zutreffen wird) vollständig, und ohne irgend ei-
ner Erläuterung zu bedürfen, in den §§. 41—56.

Man muſs aber die Hypothese nicht unbehutsam dem
heutigen gesellschaftlichen Zustande europäischer Län-
der anpassen wollen; denn von unsern ausgebildeten ge-
sellschaftlichen Verknüpfungen, welche als das Gebäude
über dem Grunde errichtet sind, und ihn gleichsam be-
decken, und verbergen, ist hier durchaus nicht die Rede.
Vielmehr ist das Vorstehende ein Hülfsmittel, um von
dem Zustande solcher Zeiten einen Begriff zu erlangen,
in welchen es eine Menge ganz kleiner Ortschaften und
Gemeinden gab, die einander fremd waren, und für die
Fremder und Feind gleich galten; — oder besser, in
welchen selbst die kleinsten Gemeinden noch fehlten,
und eben im Begriff waren zu entstehen.

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[18/0053] sich hier in Schwellen des gesellschaftlichen Einflusses verwandeln. Es leuchtet nämlich unmittel- bar ein, daſs wenige stärkere, oder von Anhängern unterstützte Personen, eine wie immer groſse Zahl von schwächern, einzeln stehenden Individuen, bey nur einigermaaſsen starkem Conflicte aller Kräfte gegen- einander, nach den oben entwickelten Rechnungen, völ- lig unwirksam machen können und müssen. Alsdann bleibt aber zwischen den stärkern Personen oder Par- theyen ein Druck und Gegendruck, wie wenn jene Schwa- chen gar nicht vorhanden gewesen wären. Von der Thä- tigkeit eines Jeden wird ein Theil gebunden; Niemand bleibt ganz frey von der Hemmung. (Der völlig und absolut-Unabhängige des Herrn von Haller ist nirgends in der Rechnung zu finden.) Auch kann Einer, oder Eine Parthey, die ganz allein aus der Menge hervorragt, die Schwächern, wenn sie einander nahe gleich sind, niemals ganz zu Boden drücken, sondern es müssen der Mächtigern Mehrere, einander entgegenstrebende, vorhan- den seyn, wofern das Angegebene erfolgen soll. Die mathematischen Beweise dieser Sätze liegen, un- ter Voraussetzung unserer Hypothese (welche mehr oder weniger zutreffen wird) vollständig, und ohne irgend ei- ner Erläuterung zu bedürfen, in den §§. 41—56. Man muſs aber die Hypothese nicht unbehutsam dem heutigen gesellschaftlichen Zustande europäischer Län- der anpassen wollen; denn von unsern ausgebildeten ge- sellschaftlichen Verknüpfungen, welche als das Gebäude über dem Grunde errichtet sind, und ihn gleichsam be- decken, und verbergen, ist hier durchaus nicht die Rede. Vielmehr ist das Vorstehende ein Hülfsmittel, um von dem Zustande solcher Zeiten einen Begriff zu erlangen, in welchen es eine Menge ganz kleiner Ortschaften und Gemeinden gab, die einander fremd waren, und für die Fremder und Feind gleich galten; — oder besser, in welchen selbst die kleinsten Gemeinden noch fehlten, und eben im Begriff waren zu entstehen.

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/53>, abgerufen am 25.11.2024.