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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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und bleibt; welche Treue das gerade Widerspiel des ab-
soluten Werdens in jeder seiner Ausschmückungen ist. --
Aber die Natur soll ja eben gesetzmässig verfahren in der
Entwickelung ihrer Lebensformen! Wer kennt denn nun
ein solches Gesetz, und wo soll es nachgewiesen werden?
In der Erfahrung -- an Zoophyten! Die Zoophyten
also haben die Ehre, uns den Typus zu entdecken, nach
welchem die grosse Bildnerin auch da zu Werke geht,
wo sie Menschen macht! Ist jemals eine Erfahrung über
ihre Gränzen ausgedehnt, ist je eins ihrer Zeugnisse durch
eine willkührliche Auslegung misbraucht worden, so ist
es hier. Die Analogie ist hier eben so monströs, als die
Grundbegriffe ungereimt sind.

Endlich -- an was für Bedingungen ist die Erzeu-
gung jener Zoophyten, die so grosse Wunder aufklären
sollen, gebunden? An die Gegenwart von solcher Ma
terie, die schon früher belebt war; überdies an
Wasser und an atmosphärische Luft*). Sind
denn das ungebildete Stoffe, von denen man sagen
könnte: so wie aus ihnen heutiges Tages zuerst
Zoophyten würden
(welches heutiges Tages so we-
nig
geschieht, als es in irgend einer Vorzeit oder Zu-
kunft kann erwartet werden, -- denn man nimmt zu den
Infusionen eben nur vegetabilische oder animalische
Theile, also gebildete Stoffe,) so hätten auch die
ersten Rudimente der lebenden Natur aus Zoo-
phyten bestanden
--?**) Gerade im Gegentheil!
Es fehlt hier offenbar an dem Hauptpuncte der Verglei-
chung. Was heute zu Tage vor den Augen der Natur-
forscher sich ereignet, das erklärt sich daraus, dass jetzo,
nachdem einmal höhere Organismen existiren, in allem
Wasser
, in der ganzen Atmosphäre, vollends also
in den zur Infusion gebrauchten animalischen und vege-

*) Treviranus Biologie, Band II. S. 266. u. s. w.
**) a. a. O. S. 378.

und bleibt; welche Treue das gerade Widerspiel des ab-
soluten Werdens in jeder seiner Ausschmückungen ist. —
Aber die Natur soll ja eben gesetzmäſsig verfahren in der
Entwickelung ihrer Lebensformen! Wer kennt denn nun
ein solches Gesetz, und wo soll es nachgewiesen werden?
In der Erfahrung — an Zoophyten! Die Zoophyten
also haben die Ehre, uns den Typus zu entdecken, nach
welchem die groſse Bildnerin auch da zu Werke geht,
wo sie Menschen macht! Ist jemals eine Erfahrung über
ihre Gränzen ausgedehnt, ist je eins ihrer Zeugnisse durch
eine willkührliche Auslegung misbraucht worden, so ist
es hier. Die Analogie ist hier eben so monströs, als die
Grundbegriffe ungereimt sind.

Endlich — an was für Bedingungen ist die Erzeu-
gung jener Zoophyten, die so groſse Wunder aufklären
sollen, gebunden? An die Gegenwart von solcher Ma
terie, die schon früher belebt war; überdies an
Wasser und an atmosphärische Luft*). Sind
denn das ungebildete Stoffe, von denen man sagen
könnte: so wie aus ihnen heutiges Tages zuerst
Zoophyten würden
(welches heutiges Tages so we-
nig
geschieht, als es in irgend einer Vorzeit oder Zu-
kunft kann erwartet werden, — denn man nimmt zu den
Infusionen eben nur vegetabilische oder animalische
Theile, also gebildete Stoffe,) so hätten auch die
ersten Rudimente der lebenden Natur aus Zoo-
phyten bestanden
—?**) Gerade im Gegentheil!
Es fehlt hier offenbar an dem Hauptpuncte der Verglei-
chung. Was heute zu Tage vor den Augen der Natur-
forscher sich ereignet, das erklärt sich daraus, daſs jetzo,
nachdem einmal höhere Organismen existiren, in allem
Wasser
, in der ganzen Atmosphäre, vollends also
in den zur Infusion gebrauchten animalischen und vege-

*) Treviranus Biologie, Band II. S. 266. u. s. w.
**) a. a. O. S. 378.
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[482/0517] und bleibt; welche Treue das gerade Widerspiel des ab- soluten Werdens in jeder seiner Ausschmückungen ist. — Aber die Natur soll ja eben gesetzmäſsig verfahren in der Entwickelung ihrer Lebensformen! Wer kennt denn nun ein solches Gesetz, und wo soll es nachgewiesen werden? In der Erfahrung — an Zoophyten! Die Zoophyten also haben die Ehre, uns den Typus zu entdecken, nach welchem die groſse Bildnerin auch da zu Werke geht, wo sie Menschen macht! Ist jemals eine Erfahrung über ihre Gränzen ausgedehnt, ist je eins ihrer Zeugnisse durch eine willkührliche Auslegung misbraucht worden, so ist es hier. Die Analogie ist hier eben so monströs, als die Grundbegriffe ungereimt sind. Endlich — an was für Bedingungen ist die Erzeu- gung jener Zoophyten, die so groſse Wunder aufklären sollen, gebunden? An die Gegenwart von solcher Ma terie, die schon früher belebt war; überdies an Wasser und an atmosphärische Luft *). Sind denn das ungebildete Stoffe, von denen man sagen könnte: so wie aus ihnen heutiges Tages zuerst Zoophyten würden (welches heutiges Tages so we- nig geschieht, als es in irgend einer Vorzeit oder Zu- kunft kann erwartet werden, — denn man nimmt zu den Infusionen eben nur vegetabilische oder animalische Theile, also gebildete Stoffe,) so hätten auch die ersten Rudimente der lebenden Natur aus Zoo- phyten bestanden —? **) Gerade im Gegentheil! Es fehlt hier offenbar an dem Hauptpuncte der Verglei- chung. Was heute zu Tage vor den Augen der Natur- forscher sich ereignet, das erklärt sich daraus, daſs jetzo, nachdem einmal höhere Organismen existiren, in allem Wasser, in der ganzen Atmosphäre, vollends also in den zur Infusion gebrauchten animalischen und vege- *) Treviranus Biologie, Band II. S. 266. u. s. w. **) a. a. O. S. 378.

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/517>, abgerufen am 22.11.2024.