discernibilium denken.) Ferner soll das Bild ein zwey- tes, das Original ein Erstes seyn. Wer aber das Bild erblickt, der erkennt darin das Original; zurückschauend vom Zweyten auf das Erste. Also geht hier die Bewe- gung in der Reihenform rückwärts; welches nur möglich ist, wenn die ganze Vorstellung des Bildes verschmol- zen ist mit einem Theile der Vorstellung des Origi- nals (§. 100. und 112.). Davon kann nun der Grund schon in der Zeitfolge gesucht werden; denn in der Re- gel ist das Original (wie schon das Wort sagt) das frü- here, und das Bild erst nach ihm gemacht. Allein dies reicht nicht aus. Es giebt auch Vorbilder, Modelle, nach denen das Hauptwerk gearbeitet wird. Der Begriff des Bildes beruht eben so wenig auf der Zeitfolge, als auf dem Umstande, dass Eins sich nach dem Andern richten solle; denn beydes leidet eine Umkehrung. Das Vorbild, wie das Nachbild, weiset auf den Hauptgegen- stand; beyde sind um so vollkommener, je mehr, über ihm, sie selbst vergessen werden. Man denke an die Illusion im Panorama, im Schauspiel. (Wobey freilich nicht zu überschen ist, dass während der Illusion der Begriff des Bildes wegfällt.)
Nach diesen Vorerinnerungen wird nun diejenige Art von Reihenformen leichter ins Auge fallen, worin das Bild und sein Gegenstand einander gegenüber stehn. Es ist die Reihe des Wichtigern, und des minder-Bedeu- tenden; oder, am einfachsten, der stärkern und der schwä- cheren Vorstellungen; allein die Art, wie sich daraus eine Reihe bildet, bedarf einer Erläuterung. Wenn meh- rere Gegenstände sich zugleich zur Wahrnehmung dar- bieten, so wird derjenige; dessen Eindruck der stärkste ist, zuerst aufgefasst, er giebt den Anfangspunct der Reihe. Erst nachdem die Empfänglichkeit für ihn bis auf einen gewissen Grad abgenommen hat, (§. 94.) und die entstandene Vorstellung mit den frühern, hemmenden, weit genug ins Gleichgewicht getreten ist: können auch die schwächern Wahrnehmungen anderer Gegenstände
discernibilium denken.) Ferner soll das Bild ein zwey- tes, das Original ein Erstes seyn. Wer aber das Bild erblickt, der erkennt darin das Original; zurückschauend vom Zweyten auf das Erste. Also geht hier die Bewe- gung in der Reihenform rückwärts; welches nur möglich ist, wenn die ganze Vorstellung des Bildes verschmol- zen ist mit einem Theile der Vorstellung des Origi- nals (§. 100. und 112.). Davon kann nun der Grund schon in der Zeitfolge gesucht werden; denn in der Re- gel ist das Original (wie schon das Wort sagt) das frü- here, und das Bild erst nach ihm gemacht. Allein dies reicht nicht aus. Es giebt auch Vorbilder, Modelle, nach denen das Hauptwerk gearbeitet wird. Der Begriff des Bildes beruht eben so wenig auf der Zeitfolge, als auf dem Umstande, daſs Eins sich nach dem Andern richten solle; denn beydes leidet eine Umkehrung. Das Vorbild, wie das Nachbild, weiset auf den Hauptgegen- stand; beyde sind um so vollkommener, je mehr, über ihm, sie selbst vergessen werden. Man denke an die Illusion im Panorama, im Schauspiel. (Wobey freilich nicht zu überschen ist, daſs während der Illusion der Begriff des Bildes wegfällt.)
Nach diesen Vorerinnerungen wird nun diejenige Art von Reihenformen leichter ins Auge fallen, worin das Bild und sein Gegenstand einander gegenüber stehn. Es ist die Reihe des Wichtigern, und des minder-Bedeu- tenden; oder, am einfachsten, der stärkern und der schwä- cheren Vorstellungen; allein die Art, wie sich daraus eine Reihe bildet, bedarf einer Erläuterung. Wenn meh- rere Gegenstände sich zugleich zur Wahrnehmung dar- bieten, so wird derjenige; dessen Eindruck der ſtärkste ist, zuerst aufgefaſst, er giebt den Anfangspunct der Reihe. Erst nachdem die Empfänglichkeit für ihn bis auf einen gewissen Grad abgenommen hat, (§. 94.) und die entstandene Vorstellung mit den frühern, hemmenden, weit genug ins Gleichgewicht getreten ist: können auch die schwächern Wahrnehmungen anderer Gegenstände
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discernibilium denken.) Ferner soll das Bild ein zwey-
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erblickt, der erkennt darin das Original; zurückschauend
vom Zweyten auf das Erste. Also geht hier die Bewe-
gung in der Reihenform rückwärts; welches nur möglich
ist, wenn die ganze Vorstellung des Bildes verschmol-
zen ist mit einem Theile der Vorstellung des Origi-
nals (§. 100. und 112.). Davon kann nun der Grund
schon in der Zeitfolge gesucht werden; denn in der Re-
gel ist das Original (wie schon das Wort sagt) das frü-
here, und das Bild erst nach ihm gemacht. Allein dies
reicht nicht aus. Es giebt auch Vorbilder, Modelle,
nach denen das Hauptwerk gearbeitet wird. Der Begriff
des Bildes beruht eben so wenig auf der Zeitfolge, als
auf dem Umstande, daſs Eins sich nach dem Andern
richten solle; denn beydes leidet eine Umkehrung. Das
Vorbild, wie das Nachbild, weiset auf den Hauptgegen-
stand; beyde sind um so vollkommener, je mehr, über
ihm, sie selbst vergessen werden. Man denke an die
Illusion im Panorama, im Schauspiel. (Wobey freilich
nicht zu überschen ist, daſs während der Illusion der
Begriff des Bildes wegfällt.)
Nach diesen Vorerinnerungen wird nun diejenige Art
von Reihenformen leichter ins Auge fallen, worin das
Bild und sein Gegenstand einander gegenüber stehn. Es
ist die Reihe des Wichtigern, und des minder-Bedeu-
tenden; oder, am einfachsten, der stärkern und der schwä-
cheren Vorstellungen; allein die Art, wie sich daraus
eine Reihe bildet, bedarf einer Erläuterung. Wenn meh-
rere Gegenstände sich zugleich zur Wahrnehmung dar-
bieten, so wird derjenige; dessen Eindruck der ſtärkste
ist, zuerst aufgefaſst, er giebt den Anfangspunct der
Reihe. Erst nachdem die Empfänglichkeit für ihn bis auf
einen gewissen Grad abgenommen hat, (§. 94.) und die
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weit genug ins Gleichgewicht getreten ist: können auch
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/238>, abgerufen am 24.11.2024.
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