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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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durch gehörige Verschmelzung ihrer Elemente zu einer
endlichen Stärke anwachsen; (man weiss aus den Unter-
suchungen der §§. 94--97., dass S < b ph seyn muss,
wenn nicht die Perceptionen im Entstehen erdrückt wer-
den sollen *)); und indem solchergestalt ein Gegenstand
nach dem andern dazu gelangt, sich hinreichende Auf-
merksamkeit
zuzueignen: ordnet sich die Succession,
worin das gleichzeitig Gegebene zusammentritt, nach der
Stärke des Eindrucks und der Empfänglichkeit; welche
beyden Grössen hier als ein Product (b ph) in Betracht
kommen. -- In dieser Reihe nun nimmt der Gegenstand
des Bildes einen frühern Platz ein, als das Bild selbst;
und das Verhältniss zwischen beyden prägt sich um desto
bestimmter aus, je weiter die Distanz von jenem zu die-
sem ist. Um desto mehr nämlich schiebt die Vorstel-
lung des Gegenstandes zwischen sich und das Bild, wenn
sie ja noch in ihren Reproductionen bis zu demselben
hingelangt; hingegen die Vorstellung des Bildes reprodu-
cirt wegen der Aehnlichkeit unmittelbar jene des Gegen-
standes, womit sie, in ihrer ganzen Stärke, verschmilzt. --
Wenn zwey Brüder einen gleich starken Eindruck auf
uns machen, so wird für uns keiner das Bild des an-
dern, sondern nur der zweyte, den wir später sehen, er-
innert an den früher Gekannten. Aber der Bruder eines
grossen Mannes bleibt immer der Bruder; das Bild
von jenem. Im metaphysischen Sinne ist das Bild die
blosse Qualität des Gegenstandes ohne seine Realität.
Da ist die Distanz beyder, die zwischen Etwas und Nichts;
das heisst, sie ist unendlich. Dass hiemit der Werth
des Bildes, welcher ihm zugesprochen werden mag, wenn
ästhetische Urtheile hinzukommen, in keiner nothwendi-
gen Gemeinschaft stehe, sondern davon ganz unabhängig

*) Der Leser wird wohl nöthig finden, meine ausführliche Ab-
handlung de attentionis mensura zu Hülfe zu nehmen, um sich die
Untersuchung des §. 95. geläufiger zu machen, und sie in ihren An-
wendungen bequemer zu verfolgen.

durch gehörige Verschmelzung ihrer Elemente zu einer
endlichen Stärke anwachsen; (man weiſs aus den Unter-
suchungen der §§. 94—97., daſs S < β φ seyn muſs,
wenn nicht die Perceptionen im Entstehen erdrückt wer-
den sollen *)); und indem solchergestalt ein Gegenstand
nach dem andern dazu gelangt, sich hinreichende Auf-
merksamkeit
zuzueignen: ordnet sich die Succession,
worin das gleichzeitig Gegebene zusammentritt, nach der
Stärke des Eindrucks und der Empfänglichkeit; welche
beyden Gröſsen hier als ein Product (β φ) in Betracht
kommen. — In dieser Reihe nun nimmt der Gegenstand
des Bildes einen frühern Platz ein, als das Bild selbst;
und das Verhältniſs zwischen beyden prägt sich um desto
bestimmter aus, je weiter die Distanz von jenem zu die-
sem ist. Um desto mehr nämlich schiebt die Vorstel-
lung des Gegenstandes zwischen sich und das Bild, wenn
sie ja noch in ihren Reproductionen bis zu demselben
hingelangt; hingegen die Vorstellung des Bildes reprodu-
cirt wegen der Aehnlichkeit unmittelbar jene des Gegen-
standes, womit sie, in ihrer ganzen Stärke, verschmilzt. —
Wenn zwey Brüder einen gleich starken Eindruck auf
uns machen, so wird für uns keiner das Bild des an-
dern, sondern nur der zweyte, den wir später sehen, er-
innert an den früher Gekannten. Aber der Bruder eines
groſsen Mannes bleibt immer der Bruder; das Bild
von jenem. Im metaphysischen Sinne ist das Bild die
bloſse Qualität des Gegenstandes ohne seine Realität.
Da ist die Distanz beyder, die zwischen Etwas und Nichts;
das heiſst, sie ist unendlich. Daſs hiemit der Werth
des Bildes, welcher ihm zugesprochen werden mag, wenn
ästhetische Urtheile hinzukommen, in keiner nothwendi-
gen Gemeinschaft stehe, sondern davon ganz unabhängig

*) Der Leser wird wohl nöthig finden, meine ausführliche Ab-
handlung de attentionis mensura zu Hülfe zu nehmen, um sich die
Untersuchung des §. 95. geläufiger zu machen, und sie in ihren An-
wendungen bequemer zu verfolgen.
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[204/0239] durch gehörige Verschmelzung ihrer Elemente zu einer endlichen Stärke anwachsen; (man weiſs aus den Unter- suchungen der §§. 94—97., daſs S < β φ seyn muſs, wenn nicht die Perceptionen im Entstehen erdrückt wer- den sollen *)); und indem solchergestalt ein Gegenstand nach dem andern dazu gelangt, sich hinreichende Auf- merksamkeit zuzueignen: ordnet sich die Succession, worin das gleichzeitig Gegebene zusammentritt, nach der Stärke des Eindrucks und der Empfänglichkeit; welche beyden Gröſsen hier als ein Product (β φ) in Betracht kommen. — In dieser Reihe nun nimmt der Gegenstand des Bildes einen frühern Platz ein, als das Bild selbst; und das Verhältniſs zwischen beyden prägt sich um desto bestimmter aus, je weiter die Distanz von jenem zu die- sem ist. Um desto mehr nämlich schiebt die Vorstel- lung des Gegenstandes zwischen sich und das Bild, wenn sie ja noch in ihren Reproductionen bis zu demselben hingelangt; hingegen die Vorstellung des Bildes reprodu- cirt wegen der Aehnlichkeit unmittelbar jene des Gegen- standes, womit sie, in ihrer ganzen Stärke, verschmilzt. — Wenn zwey Brüder einen gleich starken Eindruck auf uns machen, so wird für uns keiner das Bild des an- dern, sondern nur der zweyte, den wir später sehen, er- innert an den früher Gekannten. Aber der Bruder eines groſsen Mannes bleibt immer der Bruder; das Bild von jenem. Im metaphysischen Sinne ist das Bild die bloſse Qualität des Gegenstandes ohne seine Realität. Da ist die Distanz beyder, die zwischen Etwas und Nichts; das heiſst, sie ist unendlich. Daſs hiemit der Werth des Bildes, welcher ihm zugesprochen werden mag, wenn ästhetische Urtheile hinzukommen, in keiner nothwendi- gen Gemeinschaft stehe, sondern davon ganz unabhängig *) Der Leser wird wohl nöthig finden, meine ausführliche Ab- handlung de attentionis mensura zu Hülfe zu nehmen, um sich die Untersuchung des §. 95. geläufiger zu machen, und sie in ihren An- wendungen bequemer zu verfolgen.

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/239>, abgerufen am 27.11.2024.