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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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Redner überlistet den, welcher sich weniger auf
die Kunst versteht, den Geist durchs Gemüth
zu beherrschen. Oder endlich, setzen wir den
dritten Fall, dass die Belagerer der Burg frey-
willig die Hand zum Frieden bieten, weil sie
einsehn, dass sie, für ihre Personen, Unrecht
haben zu streiten, während ihre innersten Ge-
danken, bey aufrichtiger Entwickelung, dem
Pantheismus zustreben. Dann wird in der Burg
ein Versöhnungsfest gefeyert werden, wobey der
gefährlichste Feind vergessen ist; nämlich der
Boden selbst, auf welchem die Burg erbauet
wurde. Dieser Boden ist vulkanischer Natur.
Auch der Pantheismus hat seine innere Gährung,
seine nothwendige Umwandlung; er ist nicht
das Palladium des Wissens. Denn ein Urwesen,
das sich ohne Noth und Zweck aus einer Form
in die andere wirft, ist ein ungereimtes Ding;
es existirt nicht; es kann nicht einmal gedacht
werden. Da jedoch die nothwendigsten Um-
wandlungen der Begriffe oft gerade diejenigen
sind, welche die menschliche Trägheit am spä-
testen vollzieht: so wollen wir uns für jetzt den
Pantheismus als Sieger denken, und nur fragen,
was alsdann die Philosophie zu erwarten habe?
Was anderes werden die Sieger thun, als ihre
Ansicht überall anbringen, durchführen, die ganze
Natur derselben unterwerfen, und in den Meta-
morphosen der Dinge, wovon uns ohnehin die
Erfahrung belehrt, lauter offenbare Bestätigun-
gen ihrer Lehre erblicken? Aber die Lehre wird
alsdann den Punct erreicht haben, wo sie, gleich
Fichtes Staate, sich selbst überflüssig macht
und aufhebt. Denn um die Dinge so veränder-

Redner überlistet den, welcher sich weniger auf
die Kunst versteht, den Geist durchs Gemüth
zu beherrschen. Oder endlich, setzen wir den
dritten Fall, daſs die Belagerer der Burg frey-
willig die Hand zum Frieden bieten, weil sie
einsehn, daſs sie, für ihre Personen, Unrecht
haben zu streiten, während ihre innersten Ge-
danken, bey aufrichtiger Entwickelung, dem
Pantheismus zustreben. Dann wird in der Burg
ein Versöhnungsfest gefeyert werden, wobey der
gefährlichste Feind vergessen ist; nämlich der
Boden selbst, auf welchem die Burg erbauet
wurde. Dieser Boden ist vulkanischer Natur.
Auch der Pantheismus hat seine innere Gährung,
seine nothwendige Umwandlung; er ist nicht
das Palladium des Wissens. Denn ein Urwesen,
das sich ohne Noth und Zweck aus einer Form
in die andere wirft, ist ein ungereimtes Ding;
es existirt nicht; es kann nicht einmal gedacht
werden. Da jedoch die nothwendigsten Um-
wandlungen der Begriffe oft gerade diejenigen
sind, welche die menschliche Trägheit am spä-
testen vollzieht: so wollen wir uns für jetzt den
Pantheismus als Sieger denken, und nur fragen,
was alsdann die Philosophie zu erwarten habe?
Was anderes werden die Sieger thun, als ihre
Ansicht überall anbringen, durchführen, die ganze
Natur derselben unterwerfen, und in den Meta-
morphosen der Dinge, wovon uns ohnehin die
Erfahrung belehrt, lauter offenbare Bestätigun-
gen ihrer Lehre erblicken? Aber die Lehre wird
alsdann den Punct erreicht haben, wo sie, gleich
Fichtes Staate, sich selbst überflüssig macht
und aufhebt. Denn um die Dinge so veränder-

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[XI/0018] Redner überlistet den, welcher sich weniger auf die Kunst versteht, den Geist durchs Gemüth zu beherrschen. Oder endlich, setzen wir den dritten Fall, daſs die Belagerer der Burg frey- willig die Hand zum Frieden bieten, weil sie einsehn, daſs sie, für ihre Personen, Unrecht haben zu streiten, während ihre innersten Ge- danken, bey aufrichtiger Entwickelung, dem Pantheismus zustreben. Dann wird in der Burg ein Versöhnungsfest gefeyert werden, wobey der gefährlichste Feind vergessen ist; nämlich der Boden selbst, auf welchem die Burg erbauet wurde. Dieser Boden ist vulkanischer Natur. Auch der Pantheismus hat seine innere Gährung, seine nothwendige Umwandlung; er ist nicht das Palladium des Wissens. Denn ein Urwesen, das sich ohne Noth und Zweck aus einer Form in die andere wirft, ist ein ungereimtes Ding; es existirt nicht; es kann nicht einmal gedacht werden. Da jedoch die nothwendigsten Um- wandlungen der Begriffe oft gerade diejenigen sind, welche die menschliche Trägheit am spä- testen vollzieht: so wollen wir uns für jetzt den Pantheismus als Sieger denken, und nur fragen, was alsdann die Philosophie zu erwarten habe? Was anderes werden die Sieger thun, als ihre Ansicht überall anbringen, durchführen, die ganze Natur derselben unterwerfen, und in den Meta- morphosen der Dinge, wovon uns ohnehin die Erfahrung belehrt, lauter offenbare Bestätigun- gen ihrer Lehre erblicken? Aber die Lehre wird alsdann den Punct erreicht haben, wo sie, gleich Fichtes Staate, sich selbst überflüssig macht und aufhebt. Denn um die Dinge so veränder-

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. XI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/18>, abgerufen am 24.04.2024.