derstand; sie kann sich im Bewusstseyn nicht lange hal- ten, sondern erliegt gar leicht unter der Last ihrer Ver- bindungen.
(Dies ist die eigenthümliche Schwierigkeit, welche sich bei Menschen ohne wissenschaftliche Bildung dann äussert, wann sie allgemeine Begriffe vesthalten sollen. Die Gedanken vergehn ihnen; sie wissen gar bald nicht mehr, wovon die Rede ist; sie werden müde und gäh- nen. Umgekehrt erhellet hieraus die Kraft der Beyspiele, das Denken zu unterstützen, indem jedes derselben eine bestimmte Reihe veststellt, und den Widerstand der übrigen abwehrt.)
Gleichwohl bereitet sich durch den eben erwähnten Hemmungs-Process ein wichtiger Fortschritt in der gei- stigen Bildung. Ist nämlich die Hauptvorstellung nur ge- hörig gebildet worden, durch möglichst vollständiges Ver- schmelzen ihrer früheren Theile mit den späteren, so oft sie gegeben wurde (vergl. §. 85.), und hat nur nicht ir- gend ein physiologisches Hinderniss diese Verschmelzun- gen verkümmert (wie bey Kranken, bey Blödsinnigen, oder schon bey schwachen Köpfen), so giebt ihr die häu- fige Wiederhohlung unter verschiedenen Umständen den- noch Kraft genug, um in der Mitte andrer Vorstellungen einen Platz zu behaupten. Zugleich erscheint sie nun beinahe isolirt, weil das Ablaufen der ihr anhängenden, sich unter einander hemmenden, Reihen nicht mehr merk- lich ist. Sie ist also abgelöset von ihren zufälligen Ver- bindungen nach Zeit und Ort. Mehrere Vorstellungen dieser Art können nun unter sich in solche Verbindungen treten, die von ihnen selbst, von ihrem Inhalte, ihrem Vorgestellten, abhängen; kurz, sie können sich nach ihrer Qualität verknüpfen. In so fern aber werden sie dem Verstande zugeschrieben, und heissen Begriffe.
Man kann von den Begriffen auch sagen, sie seyen die Vorstellungen in dem Zustande, worin sie unmittel- bar an die Sprache geknüpft seyen; und von der Spra- che: sie sey ganz eigentlich das, was verstanden oder
derstand; sie kann sich im Bewuſstseyn nicht lange hal- ten, sondern erliegt gar leicht unter der Last ihrer Ver- bindungen.
(Dies ist die eigenthümliche Schwierigkeit, welche sich bei Menschen ohne wissenschaftliche Bildung dann äuſsert, wann sie allgemeine Begriffe vesthalten sollen. Die Gedanken vergehn ihnen; sie wissen gar bald nicht mehr, wovon die Rede ist; sie werden müde und gäh- nen. Umgekehrt erhellet hieraus die Kraft der Beyspiele, das Denken zu unterstützen, indem jedes derselben eine bestimmte Reihe veststellt, und den Widerstand der übrigen abwehrt.)
Gleichwohl bereitet sich durch den eben erwähnten Hemmungs-Proceſs ein wichtiger Fortschritt in der gei- stigen Bildung. Ist nämlich die Hauptvorstellung nur ge- hörig gebildet worden, durch möglichst vollständiges Ver- schmelzen ihrer früheren Theile mit den späteren, so oft sie gegeben wurde (vergl. §. 85.), und hat nur nicht ir- gend ein physiologisches Hinderniſs diese Verschmelzun- gen verkümmert (wie bey Kranken, bey Blödsinnigen, oder schon bey schwachen Köpfen), so giebt ihr die häu- fige Wiederhohlung unter verschiedenen Umständen den- noch Kraft genug, um in der Mitte andrer Vorstellungen einen Platz zu behaupten. Zugleich erscheint sie nun beinahe isolirt, weil das Ablaufen der ihr anhängenden, sich unter einander hemmenden, Reihen nicht mehr merk- lich ist. Sie ist also abgelöset von ihren zufälligen Ver- bindungen nach Zeit und Ort. Mehrere Vorstellungen dieser Art können nun unter sich in solche Verbindungen treten, die von ihnen selbst, von ihrem Inhalte, ihrem Vorgestellten, abhängen; kurz, sie können sich nach ihrer Qualität verknüpfen. In so fern aber werden sie dem Verstande zugeschrieben, und heiſsen Begriffe.
Man kann von den Begriffen auch sagen, sie seyen die Vorstellungen in dem Zustande, worin sie unmittel- bar an die Sprache geknüpft seyen; und von der Spra- che: sie sey ganz eigentlich das, was verstanden oder
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derstand; sie kann sich im Bewuſstseyn nicht lange hal-
ten, sondern erliegt gar leicht unter der Last ihrer Ver-
bindungen.
(Dies ist die eigenthümliche Schwierigkeit, welche
sich bei Menschen ohne wissenschaftliche Bildung dann
äuſsert, wann sie allgemeine Begriffe vesthalten sollen.
Die Gedanken vergehn ihnen; sie wissen gar bald nicht
mehr, wovon die Rede ist; sie werden müde und gäh-
nen. Umgekehrt erhellet hieraus die Kraft der Beyspiele,
das Denken zu unterstützen, indem jedes derselben eine
bestimmte Reihe veststellt, und den Widerstand der
übrigen abwehrt.)
Gleichwohl bereitet sich durch den eben erwähnten
Hemmungs-Proceſs ein wichtiger Fortschritt in der gei-
stigen Bildung. Ist nämlich die Hauptvorstellung nur ge-
hörig gebildet worden, durch möglichst vollständiges Ver-
schmelzen ihrer früheren Theile mit den späteren, so oft
sie gegeben wurde (vergl. §. 85.), und hat nur nicht ir-
gend ein physiologisches Hinderniſs diese Verschmelzun-
gen verkümmert (wie bey Kranken, bey Blödsinnigen,
oder schon bey schwachen Köpfen), so giebt ihr die häu-
fige Wiederhohlung unter verschiedenen Umständen den-
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beinahe isolirt, weil das Ablaufen der ihr anhängenden,
sich unter einander hemmenden, Reihen nicht mehr merk-
lich ist. Sie ist also abgelöset von ihren zufälligen Ver-
bindungen nach Zeit und Ort. Mehrere Vorstellungen
dieser Art können nun unter sich in solche Verbindungen
treten, die von ihnen selbst, von ihrem Inhalte, ihrem
Vorgestellten, abhängen; kurz, sie können sich nach
ihrer Qualität verknüpfen. In so fern aber werden sie
dem Verstande zugeschrieben, und heiſsen Begriffe.
Man kann von den Begriffen auch sagen, sie seyen
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bar an die Sprache geknüpft seyen; und von der Spra-
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/390>, abgerufen am 22.11.2024.
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