dieses gehört zu der geforderten Identität, folglich zu dem zweyten formalen Widerspruch. Hier kommt es uns darauf an, dass jede Angabe dessen, was das Ich ei- gentlich vorstelle, wiederum die Frage nach demselben in sich schliesse; folglich die Frage schlechterdings un- beantwortlich ist. Statt der Antwort entsteht eine unend- liche Reihe, die sich niemals nähert, sondern von ihrer gesuchten Bedeutung immer gleich weit entfernt bleibt. Diese Reihe ist nun schon darum fehlerhaft, weil das Selbstbewusstseyn von einer solchen Entwickelung in viele Glieder, oder von einer solchen vielfachen Einschaltung in sich selbst, nichts weiss. Aber überdies ist sie wider- sinnig, weil anstatt des wirklich vollbrachten Sich-Selbst- Setzens nichts anderes herauskommt, als eine ewige Frage nach sich selbst.
Nicht besser ergeht es auf der Seite des Subjects. Das Ich muss seinem Begriffe nach, von sich wissen; was in ihm als Subjectives gedacht wird, muss wiederum ob- jectiv, muss ein Vorgestelltes werden für ein neues Wis- sen. (Ein Umstand, den Fichte in seinen ältern Schrif- ten, ohne ihn vollständig zu erwägen, vielfältig zur Me- thode des Fortschreitens in der Nachforschung benutzt hat.) Man nehme also an, das Ich sey objectiv gege- ben; so ist es Sich selbst, und keinem Anderen, gege- ben; es wird von Sich selbst vorgestellt. Der Actus die- ses Vorstellens darf aber auch nicht ausbleiben; was das Ich ist, das muss es, seinem Begriffe nach, auch wissen; was es nicht weiss, das ist es nicht. Es ist nun wirk- lich: Sich vorstellend; als ein solches Sich vorstellendes muss es demnach abermals vorgestellt werden. Aber auch das neue Vorstellen, welches hiezu erfordert war, muss, so gewiss es ein wirkliches Handeln des Ich ist, wiederum Object werden, für ein noch höheres Wissen. Und die- ses Wissen verlangt, um ein Gewusstes zu werden, fer- ner einen Actus derselben Art. Diese Reihe läuft offenbar ebenfalls ins Unendliche; und sie sollte es eben so we- nig wie die vorige; denn auch hier weiss das Selbstbe-
dieses gehört zu der geforderten Identität, folglich zu dem zweyten formalen Widerspruch. Hier kommt es uns darauf an, daſs jede Angabe dessen, was das Ich ei- gentlich vorstelle, wiederum die Frage nach demselben in sich schlieſse; folglich die Frage schlechterdings un- beantwortlich ist. Statt der Antwort entsteht eine unend- liche Reihe, die sich niemals nähert, sondern von ihrer gesuchten Bedeutung immer gleich weit entfernt bleibt. Diese Reihe ist nun schon darum fehlerhaft, weil das Selbstbewuſstseyn von einer solchen Entwickelung in viele Glieder, oder von einer solchen vielfachen Einschaltung in sich selbst, nichts weiſs. Aber überdies ist sie wider- sinnig, weil anstatt des wirklich vollbrachten Sich-Selbst- Setzens nichts anderes herauskommt, als eine ewige Frage nach sich selbst.
Nicht besser ergeht es auf der Seite des Subjects. Das Ich muſs seinem Begriffe nach, von sich wissen; was in ihm als Subjectives gedacht wird, muſs wiederum ob- jectiv, muſs ein Vorgestelltes werden für ein neues Wis- sen. (Ein Umstand, den Fichte in seinen ältern Schrif- ten, ohne ihn vollständig zu erwägen, vielfältig zur Me- thode des Fortschreitens in der Nachforschung benutzt hat.) Man nehme also an, das Ich sey objectiv gege- ben; so ist es Sich selbst, und keinem Anderen, gege- ben; es wird von Sich selbst vorgestellt. Der Actus die- ses Vorstellens darf aber auch nicht ausbleiben; was das Ich ist, das muſs es, seinem Begriffe nach, auch wissen; was es nicht weiſs, das ist es nicht. Es ist nun wirk- lich: Sich vorstellend; als ein solches Sich vorstellendes muſs es demnach abermals vorgestellt werden. Aber auch das neue Vorstellen, welches hiezu erfordert war, muſs, so gewiſs es ein wirkliches Handeln des Ich ist, wiederum Object werden, für ein noch höheres Wissen. Und die- ses Wissen verlangt, um ein Gewuſstes zu werden, fer- ner einen Actus derselben Art. Diese Reihe läuft offenbar ebenfalls ins Unendliche; und sie sollte es eben so we- nig wie die vorige; denn auch hier weiſs das Selbstbe-
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dieses gehört zu der geforderten Identität, folglich zu dem
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darauf an, daſs jede Angabe dessen, was das Ich ei-
gentlich vorstelle, wiederum die Frage nach demselben
in sich schlieſse; folglich die Frage schlechterdings un-
beantwortlich ist. Statt der Antwort entsteht eine unend-
liche Reihe, die sich niemals nähert, sondern von ihrer
gesuchten Bedeutung immer gleich weit entfernt bleibt.
Diese Reihe ist nun schon darum fehlerhaft, weil das
Selbstbewuſstseyn von einer solchen Entwickelung in viele
Glieder, oder von einer solchen vielfachen Einschaltung
in sich selbst, nichts weiſs. Aber überdies ist sie wider-
sinnig, weil anstatt des wirklich vollbrachten Sich-Selbst-
Setzens nichts anderes herauskommt, als eine ewige Frage
nach sich selbst.
Nicht besser ergeht es auf der Seite des Subjects.
Das Ich muſs seinem Begriffe nach, von sich wissen; was
in ihm als Subjectives gedacht wird, muſs wiederum ob-
jectiv, muſs ein Vorgestelltes werden für ein neues Wis-
sen. (Ein Umstand, den Fichte in seinen ältern Schrif-
ten, ohne ihn vollständig zu erwägen, vielfältig zur Me-
thode des Fortschreitens in der Nachforschung benutzt
hat.) Man nehme also an, das Ich sey objectiv gege-
ben; so ist es Sich selbst, und keinem Anderen, gege-
ben; es wird von Sich selbst vorgestellt. Der Actus die-
ses Vorstellens darf aber auch nicht ausbleiben; was das
Ich ist, das muſs es, seinem Begriffe nach, auch wissen;
was es nicht weiſs, das ist es nicht. Es ist nun wirk-
lich: Sich vorstellend; als ein solches Sich vorstellendes
muſs es demnach abermals vorgestellt werden. Aber auch
das neue Vorstellen, welches hiezu erfordert war, muſs,
so gewiſs es ein wirkliches Handeln des Ich ist, wiederum
Object werden, für ein noch höheres Wissen. Und die-
ses Wissen verlangt, um ein Gewuſstes zu werden, fer-
ner einen Actus derselben Art. Diese Reihe läuft offenbar
ebenfalls ins Unendliche; und sie sollte es eben so we-
nig wie die vorige; denn auch hier weiſs das Selbstbe-
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/115>, abgerufen am 21.11.2024.
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