Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Erinnerung an die Göttingische Katastrophe im Jahr 1837. Königsberg, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

chen Muth zu sprechen. -- Ist es denn aber
auch genau wahr, dass die Herren nicht zwei-
felten? Oder ist die Redensart: "nicht, weil
sie zweifeln,
" als eine Bejahung des Zwei-
fels zu verstehen? In Hinsicht meiner hatten
sie wenigstens einige Ursache zu zweifeln,
denn meine Grundsätze konnten ihnen schwer-
lich ganz unbekannt seyn. Auch lagen die
Beyspiele vor Augen, dass Andere, deren
Meinung der ihrigen näher stand, doch nicht
den gleichen Schritt für hinreichend motivirt
erachteten. Die Eile, so früh als möglich auf-
zutreten, durfte aber meines Erachtens auf
keinen Fall so gross seyn, dass von der Be-
rathung eines Schrittes, der die ganze Univer-
sität compromittirte (da ja ausdrücklich die
Gleichmässigkeit der Ueberzeugung erwähnt
wurde), auch nur irgend einer der Collegen
hätte ausgeschlossen werden dürfen. In sol-
chen Fällen will Jeder gefragt seyn, bevor
Einer die Gesinnungen des Andern auch nur
vermuthungsweise anzudeuten unternehmen darf.
Es ist bekannt genug, dass selbst geringe Ab-
weichung der Meinungen auf weitläuftige Dis-
cussionen führt. Wo nun Keiner nachgiebt,
und doch die Einzelnen handeln wollen, da
müssen sie ungeachtet der ihnen bekann-
ten Verschiedenheit
der Ansichten, nicht

chen Muth zu sprechen. — Ist es denn aber
auch genau wahr, dass die Herren nicht zwei-
felten? Oder ist die Redensart: „nicht, weil
sie zweifeln,
‟ als eine Bejahung des Zwei-
fels zu verstehen? In Hinsicht meiner hatten
sie wenigstens einige Ursache zu zweifeln,
denn meine Grundsätze konnten ihnen schwer-
lich ganz unbekannt seyn. Auch lagen die
Beyspiele vor Augen, dass Andere, deren
Meinung der ihrigen näher stand, doch nicht
den gleichen Schritt für hinreichend motivirt
erachteten. Die Eile, so früh als möglich auf-
zutreten, durfte aber meines Erachtens auf
keinen Fall so gross seyn, dass von der Be-
rathung eines Schrittes, der die ganze Univer-
sität compromittirte (da ja ausdrücklich die
Gleichmässigkeit der Ueberzeugung erwähnt
wurde), auch nur irgend einer der Collegen
hätte ausgeschlossen werden dürfen. In sol-
chen Fällen will Jeder gefragt seyn, bevor
Einer die Gesinnungen des Andern auch nur
vermuthungsweise anzudeuten unternehmen darf.
Es ist bekannt genug, dass selbst geringe Ab-
weichung der Meinungen auf weitläuftige Dis-
cussionen führt. Wo nun Keiner nachgiebt,
und doch die Einzelnen handeln wollen, da
müssen sie ungeachtet der ihnen bekann-
ten Verschiedenheit
der Ansichten, nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p> <hi rendition="#aq"><pb facs="#f0039" n="35"/>
chen Muth zu sprechen. &#x2014; Ist es denn aber<lb/>
auch genau wahr, dass die Herren nicht zwei-<lb/>
felten? Oder ist die Redensart: &#x201E;<hi rendition="#g">nicht, weil<lb/>
sie zweifeln,</hi>&#x201F; als eine Bejahung des Zwei-<lb/>
fels zu verstehen? In Hinsicht meiner hatten<lb/>
sie wenigstens einige Ursache zu zweifeln,<lb/>
denn meine Grundsätze konnten ihnen schwer-<lb/>
lich ganz unbekannt seyn. Auch lagen die<lb/>
Beyspiele vor Augen, dass Andere, deren<lb/>
Meinung der ihrigen näher stand, doch nicht<lb/>
den gleichen Schritt für hinreichend motivirt<lb/>
erachteten. Die Eile, so früh als möglich auf-<lb/>
zutreten, durfte aber meines Erachtens auf<lb/>
keinen Fall so gross seyn, dass von der Be-<lb/>
rathung eines Schrittes, der die ganze Univer-<lb/>
sität compromittirte (da ja ausdrücklich die<lb/>
Gleichmässigkeit der Ueberzeugung <hi rendition="#g">erwähnt</hi><lb/>
wurde), auch nur irgend einer der Collegen<lb/>
hätte ausgeschlossen werden dürfen. In sol-<lb/>
chen Fällen will Jeder gefragt seyn, bevor<lb/>
Einer die Gesinnungen des Andern auch nur<lb/>
vermuthungsweise anzudeuten unternehmen darf.<lb/>
Es ist bekannt genug, dass selbst geringe Ab-<lb/>
weichung der Meinungen auf weitläuftige Dis-<lb/>
cussionen führt. Wo nun Keiner nachgiebt,<lb/>
und doch die Einzelnen handeln wollen, da<lb/>
müssen sie <hi rendition="#g">ungeachtet</hi> der ihnen <hi rendition="#g">bekann-<lb/>
ten Verschiedenheit</hi> der Ansichten, nicht<lb/></hi> </p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[35/0039] chen Muth zu sprechen. — Ist es denn aber auch genau wahr, dass die Herren nicht zwei- felten? Oder ist die Redensart: „nicht, weil sie zweifeln,‟ als eine Bejahung des Zwei- fels zu verstehen? In Hinsicht meiner hatten sie wenigstens einige Ursache zu zweifeln, denn meine Grundsätze konnten ihnen schwer- lich ganz unbekannt seyn. Auch lagen die Beyspiele vor Augen, dass Andere, deren Meinung der ihrigen näher stand, doch nicht den gleichen Schritt für hinreichend motivirt erachteten. Die Eile, so früh als möglich auf- zutreten, durfte aber meines Erachtens auf keinen Fall so gross seyn, dass von der Be- rathung eines Schrittes, der die ganze Univer- sität compromittirte (da ja ausdrücklich die Gleichmässigkeit der Ueberzeugung erwähnt wurde), auch nur irgend einer der Collegen hätte ausgeschlossen werden dürfen. In sol- chen Fällen will Jeder gefragt seyn, bevor Einer die Gesinnungen des Andern auch nur vermuthungsweise anzudeuten unternehmen darf. Es ist bekannt genug, dass selbst geringe Ab- weichung der Meinungen auf weitläuftige Dis- cussionen führt. Wo nun Keiner nachgiebt, und doch die Einzelnen handeln wollen, da müssen sie ungeachtet der ihnen bekann- ten Verschiedenheit der Ansichten, nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_goettingen_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_goettingen_1842/39
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Erinnerung an die Göttingische Katastrophe im Jahr 1837. Königsberg, 1842, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_goettingen_1842/39>, abgerufen am 20.04.2024.