Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

Aber doch sieht man bey seinen Komposizionen
deutlich allemal die Figuren, wo er sich ange-
strengt, und die wirkliche Natur nachgeahmt
hat. Er besaß einen gar guten Volksverstand,
und dachte und empfand bey jeder Geschichte
gleich das natürlichste; und seine Gestaltenphan-
tasie, und sein kernhafter Styl, wo alles be-
stimmt ist, machte das Ganze gleich lebendig.

Nach diesem allen sey ich mich doch genö-
thigt, ein Gegenlied von dem Lob anzustimmen,
was ich dem Pabst Julius gab. Es war ein
Glück für Raphaelen, daß dieser seiner Kunst
Arbeit verschafte, und vielleicht auch keins und
das Gegentheil; denn dadurch ist er fast zum
bloßen Kirchenmahler geworden. Das einzige
große Werk außer seinen theologischen Gemähl-
den und Porträten ist die Geschichte der Psyche
in der Farnesina
; und diese gehört, einzelne
vortrefliche Figuren ausgenommen, nicht unter
sein Bestes. Die Götter und Göttinnen darin

machen

Aber doch ſieht man bey ſeinen Kompoſizionen
deutlich allemal die Figuren, wo er ſich ange-
ſtrengt, und die wirkliche Natur nachgeahmt
hat. Er beſaß einen gar guten Volksverſtand,
und dachte und empfand bey jeder Geſchichte
gleich das natuͤrlichſte; und ſeine Geſtaltenphan-
taſie, und ſein kernhafter Styl, wo alles be-
ſtimmt iſt, machte das Ganze gleich lebendig.

Nach dieſem allen ſey ich mich doch genoͤ-
thigt, ein Gegenlied von dem Lob anzuſtimmen,
was ich dem Pabſt Julius gab. Es war ein
Gluͤck fuͤr Raphaelen, daß dieſer ſeiner Kunſt
Arbeit verſchafte, und vielleicht auch keins und
das Gegentheil; denn dadurch iſt er faſt zum
bloßen Kirchenmahler geworden. Das einzige
große Werk außer ſeinen theologiſchen Gemaͤhl-
den und Portraͤten iſt die Geſchichte der Pſyche
in der Farneſina
; und dieſe gehoͤrt, einzelne
vortrefliche Figuren ausgenommen, nicht unter
ſein Beſtes. Die Goͤtter und Goͤttinnen darin

machen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0044" n="36"/>
Aber doch &#x017F;ieht man bey &#x017F;einen Kompo&#x017F;izionen<lb/>
deutlich allemal die Figuren, wo er &#x017F;ich ange-<lb/>
&#x017F;trengt, und die wirkliche Natur nachgeahmt<lb/>
hat. Er be&#x017F;aß einen gar guten Volksver&#x017F;tand,<lb/>
und dachte und empfand bey jeder Ge&#x017F;chichte<lb/>
gleich das natu&#x0364;rlich&#x017F;te; und &#x017F;eine Ge&#x017F;taltenphan-<lb/>
ta&#x017F;ie, und &#x017F;ein kernhafter Styl, wo alles be-<lb/>
&#x017F;timmt i&#x017F;t, machte das Ganze gleich lebendig.</p><lb/>
          <p>Nach die&#x017F;em allen &#x017F;ey ich mich doch geno&#x0364;-<lb/>
thigt, ein Gegenlied von dem Lob anzu&#x017F;timmen,<lb/>
was ich dem Pab&#x017F;t Julius gab. Es war ein<lb/>
Glu&#x0364;ck fu&#x0364;r Raphaelen, daß die&#x017F;er &#x017F;einer Kun&#x017F;t<lb/>
Arbeit ver&#x017F;chafte, und vielleicht auch keins und<lb/>
das Gegentheil; denn dadurch i&#x017F;t er fa&#x017F;t zum<lb/>
bloßen Kirchenmahler geworden. Das einzige<lb/>
große Werk außer &#x017F;einen theologi&#x017F;chen Gema&#x0364;hl-<lb/>
den und Portra&#x0364;ten i&#x017F;t die <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;chichte der P&#x017F;yche<lb/>
in der Farne&#x017F;ina</hi>; und die&#x017F;e geho&#x0364;rt, einzelne<lb/>
vortrefliche Figuren ausgenommen, nicht unter<lb/>
&#x017F;ein Be&#x017F;tes. Die Go&#x0364;tter und Go&#x0364;ttinnen darin<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">machen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0044] Aber doch ſieht man bey ſeinen Kompoſizionen deutlich allemal die Figuren, wo er ſich ange- ſtrengt, und die wirkliche Natur nachgeahmt hat. Er beſaß einen gar guten Volksverſtand, und dachte und empfand bey jeder Geſchichte gleich das natuͤrlichſte; und ſeine Geſtaltenphan- taſie, und ſein kernhafter Styl, wo alles be- ſtimmt iſt, machte das Ganze gleich lebendig. Nach dieſem allen ſey ich mich doch genoͤ- thigt, ein Gegenlied von dem Lob anzuſtimmen, was ich dem Pabſt Julius gab. Es war ein Gluͤck fuͤr Raphaelen, daß dieſer ſeiner Kunſt Arbeit verſchafte, und vielleicht auch keins und das Gegentheil; denn dadurch iſt er faſt zum bloßen Kirchenmahler geworden. Das einzige große Werk außer ſeinen theologiſchen Gemaͤhl- den und Portraͤten iſt die Geſchichte der Pſyche in der Farneſina; und dieſe gehoͤrt, einzelne vortrefliche Figuren ausgenommen, nicht unter ſein Beſtes. Die Goͤtter und Goͤttinnen darin machen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/44
Zitationshilfe: [Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/44>, abgerufen am 18.12.2024.