"Die Bildhauerey und Mahlerey stellt Ober- flächen von Körpern dar; die letztere, in so weit sie sich durch Farben zeigen."
"Ein neues Ganzes, wie schon gesagt, oder ein altes neu auf die wahrste und lebendigste Weise den Menschen in die Seele bringen, ist Kunst. Das schicklichste für den Dichter sind Handlungen, oder Bewegungen im Zeitraum, weil seine Zeichen, das sind Worte, nur nach und nach können gehört werden; aber doch kann er immer auch damit Dinge neben ein- ander oder Körper darstellen, und der Zuhörer denkt sie sich zusammen, wie er am Ende bey den Begebenheiten selbst muß. Homer würde wohl gethan haben, wenn er die Gegend von Troja nicht für bekannt angenommen, und die Jahrs- zeit, worin alles geschah, sinnlicher gemacht hät- te. Wer denkt an Zeit, wenn ich einem mit Worten etwas beschreibe, und dieser getäuscht dasselbe dabey sich vorstellt? Bey jedem Genusse
sind
„Die Bildhauerey und Mahlerey ſtellt Ober- flaͤchen von Koͤrpern dar; die letztere, in ſo weit ſie ſich durch Farben zeigen.“
„Ein neues Ganzes, wie ſchon geſagt, oder ein altes neu auf die wahrſte und lebendigſte Weiſe den Menſchen in die Seele bringen, iſt Kunſt. Das ſchicklichſte fuͤr den Dichter ſind Handlungen, oder Bewegungen im Zeitraum, weil ſeine Zeichen, das ſind Worte, nur nach und nach koͤnnen gehoͤrt werden; aber doch kann er immer auch damit Dinge neben ein- ander oder Koͤrper darſtellen, und der Zuhoͤrer denkt ſie ſich zuſammen, wie er am Ende bey den Begebenheiten ſelbſt muß. Homer wuͤrde wohl gethan haben, wenn er die Gegend von Troja nicht fuͤr bekannt angenommen, und die Jahrs- zeit, worin alles geſchah, ſinnlicher gemacht haͤt- te. Wer denkt an Zeit, wenn ich einem mit Worten etwas beſchreibe, und dieſer getaͤuſcht daſſelbe dabey ſich vorſtellt? Bey jedem Genuſſe
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„Die Bildhauerey und Mahlerey ſtellt Ober-
flaͤchen von Koͤrpern dar; die letztere, in ſo weit ſie
ſich durch Farben zeigen.“
„Ein neues Ganzes, wie ſchon geſagt,
oder ein altes neu auf die wahrſte und
lebendigſte Weiſe den Menſchen in die Seele
bringen, iſt Kunſt. Das ſchicklichſte fuͤr den
Dichter ſind Handlungen, oder Bewegungen im
Zeitraum, weil ſeine Zeichen, das ſind Worte,
nur nach und nach koͤnnen gehoͤrt werden; aber
doch kann er immer auch damit Dinge neben ein-
ander oder Koͤrper darſtellen, und der Zuhoͤrer
denkt ſie ſich zuſammen, wie er am Ende bey den
Begebenheiten ſelbſt muß. Homer wuͤrde wohl
gethan haben, wenn er die Gegend von Troja
nicht fuͤr bekannt angenommen, und die Jahrs-
zeit, worin alles geſchah, ſinnlicher gemacht haͤt-
te. Wer denkt an Zeit, wenn ich einem mit
Worten etwas beſchreibe, und dieſer getaͤuſcht
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/356>, abgerufen am 22.11.2024.
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