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Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831.

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Handlungen auf dieser Welt kümmert mich nicht
einmal die Existenz von Himmel und Hölle, ich
bin zu groß und zu stolz, als daß der Geitz nach
himmlischen Belohnungen, oder die Furcht vor
höllischen Strafen mich leiten sollten. Ich strebe
nach dem Guten, weil es schön ist und mich un¬
widerstehlich anzieht, und ich verabscheue das
Schlechte, weil es häßlich und mir zuwider ist.
Schon als Knabe, wenn ich den Plutarch las --
und ich lese ihn noch jetzt alle Abend im Bette
und möchte dabey manchmal aufspringen, und
gleich Extra-Post nehmen und ein großer Mann
werden -- schon damals gefiel mir die Erzählung
von dem Weibe, das durch die Straßen Alexan¬
driens schritt, in der einen Hand einen Wasser¬
schlauch, in der andern eine brennende Fackel tra¬
gend, und den Menschen zurief, daß sie mit dem
Wasser die Hölle auslöschen und mit der Fackel
den Himmel in Brand stecken wolle, damit das
Schlechte nicht mehr aus Furcht vor Strafe un¬

Handlungen auf dieſer Welt kuͤmmert mich nicht
einmal die Exiſtenz von Himmel und Hoͤlle, ich
bin zu groß und zu ſtolz, als daß der Geitz nach
himmliſchen Belohnungen, oder die Furcht vor
hoͤlliſchen Strafen mich leiten ſollten. Ich ſtrebe
nach dem Guten, weil es ſchoͤn iſt und mich un¬
widerſtehlich anzieht, und ich verabſcheue das
Schlechte, weil es haͤßlich und mir zuwider iſt.
Schon als Knabe, wenn ich den Plutarch las —
und ich leſe ihn noch jetzt alle Abend im Bette
und moͤchte dabey manchmal aufſpringen, und
gleich Extra-Poſt nehmen und ein großer Mann
werden — ſchon damals gefiel mir die Erzaͤhlung
von dem Weibe, das durch die Straßen Alexan¬
driens ſchritt, in der einen Hand einen Waſſer¬
ſchlauch, in der andern eine brennende Fackel tra¬
gend, und den Menſchen zurief, daß ſie mit dem
Waſſer die Hoͤlle ausloͤſchen und mit der Fackel
den Himmel in Brand ſtecken wolle, damit das
Schlechte nicht mehr aus Furcht vor Strafe un¬

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[70/0084] Handlungen auf dieſer Welt kuͤmmert mich nicht einmal die Exiſtenz von Himmel und Hoͤlle, ich bin zu groß und zu ſtolz, als daß der Geitz nach himmliſchen Belohnungen, oder die Furcht vor hoͤlliſchen Strafen mich leiten ſollten. Ich ſtrebe nach dem Guten, weil es ſchoͤn iſt und mich un¬ widerſtehlich anzieht, und ich verabſcheue das Schlechte, weil es haͤßlich und mir zuwider iſt. Schon als Knabe, wenn ich den Plutarch las — und ich leſe ihn noch jetzt alle Abend im Bette und moͤchte dabey manchmal aufſpringen, und gleich Extra-Poſt nehmen und ein großer Mann werden — ſchon damals gefiel mir die Erzaͤhlung von dem Weibe, das durch die Straßen Alexan¬ driens ſchritt, in der einen Hand einen Waſſer¬ ſchlauch, in der andern eine brennende Fackel tra¬ gend, und den Menſchen zurief, daß ſie mit dem Waſſer die Hoͤlle ausloͤſchen und mit der Fackel den Himmel in Brand ſtecken wolle, damit das Schlechte nicht mehr aus Furcht vor Strafe un¬

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/84>, abgerufen am 27.04.2024.