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Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831.

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terlassen, und das Gute nicht mehr aus Begierde
nach Belohnung ausgeübt werde. Alle unsre Hand¬
lungen sollen aus dem Quell einer uneigennützi¬
gen Liebe hervorsprudeln, gleichviel ob es eine
Fortdauer nach dem Tode giebt oder nicht.

Sie glauben also auch nicht an Unsterblich¬
keit. O Sie sind schlau, Mylady! Ich daran
zweifeln? Ich, dessen Herz in die entferntesten
Jahrtausende der Vergangenheit und der Zukunft
immer tiefer und tiefer Wurzel schlägt, ich, der
ich selbst einer der ewigsten Menschen bin, jeder
Athemzug ein ewiges Leben, jeder Gedanke ein
ewiger Stern -- ich sollte nicht an Unsterblichkeit
glauben?

Ich denke, Doktor, es gehört eine beträtchliche
Porzion Eitelkeit und Anmaßung dazu, nachdem
wir schon so viel Gutes und Schönes auf dieser
Erde genossen, noch obendrein vom lieben Gott
die Unsterblichkeit zu verlangen! Der Mensch, der
Aristokrat unter den Thieren, der sich besser dünkt,

terlaſſen, und das Gute nicht mehr aus Begierde
nach Belohnung ausgeuͤbt werde. Alle unſre Hand¬
lungen ſollen aus dem Quell einer uneigennuͤtzi¬
gen Liebe hervorſprudeln, gleichviel ob es eine
Fortdauer nach dem Tode giebt oder nicht.

Sie glauben alſo auch nicht an Unſterblich¬
keit. O Sie ſind ſchlau, Mylady! Ich daran
zweifeln? Ich, deſſen Herz in die entfernteſten
Jahrtauſende der Vergangenheit und der Zukunft
immer tiefer und tiefer Wurzel ſchlaͤgt, ich, der
ich ſelbſt einer der ewigſten Menſchen bin, jeder
Athemzug ein ewiges Leben, jeder Gedanke ein
ewiger Stern — ich ſollte nicht an Unſterblichkeit
glauben?

Ich denke, Doktor, es gehoͤrt eine betraͤtchliche
Porzion Eitelkeit und Anmaßung dazu, nachdem
wir ſchon ſo viel Gutes und Schoͤnes auf dieſer
Erde genoſſen, noch obendrein vom lieben Gott
die Unſterblichkeit zu verlangen! Der Menſch, der
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[71/0085] terlaſſen, und das Gute nicht mehr aus Begierde nach Belohnung ausgeuͤbt werde. Alle unſre Hand¬ lungen ſollen aus dem Quell einer uneigennuͤtzi¬ gen Liebe hervorſprudeln, gleichviel ob es eine Fortdauer nach dem Tode giebt oder nicht. Sie glauben alſo auch nicht an Unſterblich¬ keit. O Sie ſind ſchlau, Mylady! Ich daran zweifeln? Ich, deſſen Herz in die entfernteſten Jahrtauſende der Vergangenheit und der Zukunft immer tiefer und tiefer Wurzel ſchlaͤgt, ich, der ich ſelbſt einer der ewigſten Menſchen bin, jeder Athemzug ein ewiges Leben, jeder Gedanke ein ewiger Stern — ich ſollte nicht an Unſterblichkeit glauben? Ich denke, Doktor, es gehoͤrt eine betraͤtchliche Porzion Eitelkeit und Anmaßung dazu, nachdem wir ſchon ſo viel Gutes und Schoͤnes auf dieſer Erde genoſſen, noch obendrein vom lieben Gott die Unſterblichkeit zu verlangen! Der Menſch, der Ariſtokrat unter den Thieren, der ſich beſſer duͤnkt,

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/85>, abgerufen am 27.04.2024.