Wimpern, blinzelte ein Lichtchen. Oben am Him¬ mel aber trat ein breiter hellgrüner Raum aus den Wolken hervor, und darin schwamm der Halb¬ mond, wie eine silberne Gondel in einem Meer von Smaragden. Vergebens bat ich Franscheska nur ein einziges Mahl hinauf zu sehen zu unse¬ rem alten, lieben Vertrauten; sie hielt aber das Köpfchen träumend gesenkt. Ihr Gang, der sonst so heiter dahinschwebend, war jetzt wie kirchlich gemessen, ihr Schritt war düster katholisch, sie be¬ wegte sich wie nach dem Takte einer feyerlichen Orgel, und wie in früheren Nächten die Sünde, so war ihr jetzt die Religion in die Beine gefah¬ ren. Unterwegs vor jedem Heiligenbilde bekreuzte sie sich Haupt und Busen; vergebens versuchte ich ihr dabey zu helfen. Als wir aber auf dem Markte, der Kirche Sant Mitschiele vorbeykamen, wo die marmorne Schmerzensmutter mit den vergoldeten Schwertern im Herzen und mit der Lämpchenkrone auf dem Haupte, aus der dunkeln Nische hervor¬
Wimpern, blinzelte ein Lichtchen. Oben am Him¬ mel aber trat ein breiter hellgruͤner Raum aus den Wolken hervor, und darin ſchwamm der Halb¬ mond, wie eine ſilberne Gondel in einem Meer von Smaragden. Vergebens bat ich Franſcheska nur ein einziges Mahl hinauf zu ſehen zu unſe¬ rem alten, lieben Vertrauten; ſie hielt aber das Koͤpfchen traͤumend geſenkt. Ihr Gang, der ſonſt ſo heiter dahinſchwebend, war jetzt wie kirchlich gemeſſen, ihr Schritt war duͤſter katholiſch, ſie be¬ wegte ſich wie nach dem Takte einer feyerlichen Orgel, und wie in fruͤheren Naͤchten die Suͤnde, ſo war ihr jetzt die Religion in die Beine gefah¬ ren. Unterwegs vor jedem Heiligenbilde bekreuzte ſie ſich Haupt und Buſen; vergebens verſuchte ich ihr dabey zu helfen. Als wir aber auf dem Markte, der Kirche Sant Mitſchiele vorbeykamen, wo die marmorne Schmerzensmutter mit den vergoldeten Schwertern im Herzen und mit der Laͤmpchenkrone auf dem Haupte, aus der dunkeln Niſche hervor¬
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Wimpern, blinzelte ein Lichtchen. Oben am Him¬
mel aber trat ein breiter hellgruͤner Raum aus den
Wolken hervor, und darin ſchwamm der Halb¬
mond, wie eine ſilberne Gondel in einem Meer
von Smaragden. Vergebens bat ich Franſcheska
nur ein einziges Mahl hinauf zu ſehen zu unſe¬
rem alten, lieben Vertrauten; ſie hielt aber das
Koͤpfchen traͤumend geſenkt. Ihr Gang, der ſonſt
ſo heiter dahinſchwebend, war jetzt wie kirchlich
gemeſſen, ihr Schritt war duͤſter katholiſch, ſie be¬
wegte ſich wie nach dem Takte einer feyerlichen
Orgel, und wie in fruͤheren Naͤchten die Suͤnde,
ſo war ihr jetzt die Religion in die Beine gefah¬
ren. Unterwegs vor jedem Heiligenbilde bekreuzte
ſie ſich Haupt und Buſen; vergebens verſuchte ich
ihr dabey zu helfen. Als wir aber auf dem Markte,
der Kirche Sant Mitſchiele vorbeykamen, wo die
marmorne Schmerzensmutter mit den vergoldeten
Schwertern im Herzen und mit der Laͤmpchenkrone
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/62>, abgerufen am 21.11.2024.
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