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Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831.

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zusammengebückt stehen -- die Schultern in die
Höhe gezogen, der Kopf vorwärts gebeugt, seine
Oberlippe und Nasenflügel in zitternder Bewegung,
als fürchte er ein Wort zu sprechen. Sein Aus¬
sehen, sein Wesen gleicht fast einem jener Predi¬
ger, die auf freyem Felde predigen -- nicht einem
modernen Manne dieser Art, der die müßige
Sonntagsmenge nach sich zieht, sondern einem
solchen Prediger aus alten Zeiten, der die Rein¬
heit des Glaubens zu erhalten und in der Wild¬
niß zu verbreiten suchte, wenn sie aus der Stadt
und selbst aus der Kirche verbannt war. Die
Töne seiner Stimme sind voll und melodisch, doch
sie erheben sich langsam, bedächtig, und wie man
zu glauben versucht ist, auch sehr mühsam, so daß
man nicht weiß, ob die geistige Macht des Man¬
nes unfähig ist, den Gegenstand zu beherrschen,
oder ob seine physische Kraft unfähig ist, ihn aus¬
zusprechen. Sein erster Satz, oder vielmehr die
ersten Glieder seines Satzes -- denn man findet

zuſammengebuͤckt ſtehen — die Schultern in die
Hoͤhe gezogen, der Kopf vorwaͤrts gebeugt, ſeine
Oberlippe und Naſenfluͤgel in zitternder Bewegung,
als fuͤrchte er ein Wort zu ſprechen. Sein Aus¬
ſehen, ſein Weſen gleicht faſt einem jener Predi¬
ger, die auf freyem Felde predigen — nicht einem
modernen Manne dieſer Art, der die muͤßige
Sonntagsmenge nach ſich zieht, ſondern einem
ſolchen Prediger aus alten Zeiten, der die Rein¬
heit des Glaubens zu erhalten und in der Wild¬
niß zu verbreiten ſuchte, wenn ſie aus der Stadt
und ſelbſt aus der Kirche verbannt war. Die
Toͤne ſeiner Stimme ſind voll und melodiſch, doch
ſie erheben ſich langſam, bedaͤchtig, und wie man
zu glauben verſucht iſt, auch ſehr muͤhſam, ſo daß
man nicht weiß, ob die geiſtige Macht des Man¬
nes unfaͤhig iſt, den Gegenſtand zu beherrſchen,
oder ob ſeine phyſiſche Kraft unfaͤhig iſt, ihn aus¬
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[254/0268] zuſammengebuͤckt ſtehen — die Schultern in die Hoͤhe gezogen, der Kopf vorwaͤrts gebeugt, ſeine Oberlippe und Naſenfluͤgel in zitternder Bewegung, als fuͤrchte er ein Wort zu ſprechen. Sein Aus¬ ſehen, ſein Weſen gleicht faſt einem jener Predi¬ ger, die auf freyem Felde predigen — nicht einem modernen Manne dieſer Art, der die muͤßige Sonntagsmenge nach ſich zieht, ſondern einem ſolchen Prediger aus alten Zeiten, der die Rein¬ heit des Glaubens zu erhalten und in der Wild¬ niß zu verbreiten ſuchte, wenn ſie aus der Stadt und ſelbſt aus der Kirche verbannt war. Die Toͤne ſeiner Stimme ſind voll und melodiſch, doch ſie erheben ſich langſam, bedaͤchtig, und wie man zu glauben verſucht iſt, auch ſehr muͤhſam, ſo daß man nicht weiß, ob die geiſtige Macht des Man¬ nes unfaͤhig iſt, den Gegenſtand zu beherrſchen, oder ob ſeine phyſiſche Kraft unfaͤhig iſt, ihn aus¬ zuſprechen. Sein erſter Satz, oder vielmehr die erſten Glieder ſeines Satzes — denn man findet

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/268>, abgerufen am 29.11.2024.