Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

zu fristen, sich durchdrängen will, wo der kecke
Reuter den armen Fußgänger niederstampft, wo
derjenige, der zu Boden fällt, auf immer verloren
ist, wo die besten Kameraden fühllos einer über
die Leiche des andern dahineilen, und Tausende,
die, sterbensmatt und blutend, sich vergebens an
den Planken der Brücke festklammern wollten, in
die kalte Eisgrube des Todes hinabstürzen.

Wie viel heiterer und wohnlicher ist es dage¬
gen in unserem lieben Deutschland! Wie traum¬
haft gemach, wie sabathlich ruhig bewegen sich
hier die Dinge! Ruhig zieht die Wache auf, im
ruhigen Sonnenschein glänzen die Uniformen und
Häuser, an den Fliesen flattern die Schwalben,
aus den Fenstern lächeln dicke Justizräthinnen,
auf den hallenden Straßen ist Platz genug: die
Hunde können sich gehörig anriechen, die Men¬
schen können bequem stehen bleiben und über das
Theater diskuriren und tief, tief grüßen, wenn
irgend ein vornehmes Lümpchen oder Vicelümpchen,

zu friſten, ſich durchdraͤngen will, wo der kecke
Reuter den armen Fußgaͤnger niederſtampft, wo
derjenige, der zu Boden faͤllt, auf immer verloren
iſt, wo die beſten Kameraden fuͤhllos einer uͤber
die Leiche des andern dahineilen, und Tauſende,
die, ſterbensmatt und blutend, ſich vergebens an
den Planken der Bruͤcke feſtklammern wollten, in
die kalte Eisgrube des Todes hinabſtuͤrzen.

Wie viel heiterer und wohnlicher iſt es dage¬
gen in unſerem lieben Deutſchland! Wie traum¬
haft gemach, wie ſabathlich ruhig bewegen ſich
hier die Dinge! Ruhig zieht die Wache auf, im
ruhigen Sonnenſchein glaͤnzen die Uniformen und
Haͤuſer, an den Flieſen flattern die Schwalben,
aus den Fenſtern laͤcheln dicke Juſtizraͤthinnen,
auf den hallenden Straßen iſt Platz genug: die
Hunde koͤnnen ſich gehoͤrig anriechen, die Men¬
ſchen koͤnnen bequem ſtehen bleiben und uͤber das
Theater diskuriren und tief, tief gruͤßen, wenn
irgend ein vornehmes Luͤmpchen oder Viceluͤmpchen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0174" n="160"/>
zu fri&#x017F;ten, &#x017F;ich durchdra&#x0364;ngen will, wo der kecke<lb/>
Reuter den armen Fußga&#x0364;nger nieder&#x017F;tampft, wo<lb/>
derjenige, der zu Boden fa&#x0364;llt, auf immer verloren<lb/>
i&#x017F;t, wo die be&#x017F;ten Kameraden fu&#x0364;hllos einer u&#x0364;ber<lb/>
die Leiche des andern dahineilen, und Tau&#x017F;ende,<lb/>
die, &#x017F;terbensmatt und blutend, &#x017F;ich vergebens an<lb/>
den Planken der Bru&#x0364;cke fe&#x017F;tklammern wollten, in<lb/>
die kalte Eisgrube des Todes hinab&#x017F;tu&#x0364;rzen.</p><lb/>
          <p>Wie viel heiterer und wohnlicher i&#x017F;t es dage¬<lb/>
gen in un&#x017F;erem lieben Deut&#x017F;chland! Wie traum¬<lb/>
haft gemach, wie &#x017F;abathlich ruhig bewegen &#x017F;ich<lb/>
hier die Dinge! Ruhig zieht die Wache auf, im<lb/>
ruhigen Sonnen&#x017F;chein gla&#x0364;nzen die Uniformen und<lb/>
Ha&#x0364;u&#x017F;er, an den Flie&#x017F;en flattern die Schwalben,<lb/>
aus den Fen&#x017F;tern la&#x0364;cheln dicke Ju&#x017F;tizra&#x0364;thinnen,<lb/>
auf den hallenden Straßen i&#x017F;t Platz genug: die<lb/>
Hunde ko&#x0364;nnen &#x017F;ich geho&#x0364;rig anriechen, die Men¬<lb/>
&#x017F;chen ko&#x0364;nnen bequem &#x017F;tehen bleiben und u&#x0364;ber das<lb/>
Theater diskuriren und tief, tief gru&#x0364;ßen, wenn<lb/>
irgend ein vornehmes Lu&#x0364;mpchen oder Vicelu&#x0364;mpchen,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[160/0174] zu friſten, ſich durchdraͤngen will, wo der kecke Reuter den armen Fußgaͤnger niederſtampft, wo derjenige, der zu Boden faͤllt, auf immer verloren iſt, wo die beſten Kameraden fuͤhllos einer uͤber die Leiche des andern dahineilen, und Tauſende, die, ſterbensmatt und blutend, ſich vergebens an den Planken der Bruͤcke feſtklammern wollten, in die kalte Eisgrube des Todes hinabſtuͤrzen. Wie viel heiterer und wohnlicher iſt es dage¬ gen in unſerem lieben Deutſchland! Wie traum¬ haft gemach, wie ſabathlich ruhig bewegen ſich hier die Dinge! Ruhig zieht die Wache auf, im ruhigen Sonnenſchein glaͤnzen die Uniformen und Haͤuſer, an den Flieſen flattern die Schwalben, aus den Fenſtern laͤcheln dicke Juſtizraͤthinnen, auf den hallenden Straßen iſt Platz genug: die Hunde koͤnnen ſich gehoͤrig anriechen, die Men¬ ſchen koͤnnen bequem ſtehen bleiben und uͤber das Theater diskuriren und tief, tief gruͤßen, wenn irgend ein vornehmes Luͤmpchen oder Viceluͤmpchen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/174
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/174>, abgerufen am 22.11.2024.