die Bilder, den Versbau und die ganze Be¬ handlung jener Mythe.
Ja, sie ist sehr schön, sagte der Professor, und es liegt ihr gewiß eine historische Wahrheit zum Grunde, wie denn auch einige Autoren uns ausdrücklich erzählen, daß Oneus, ein Priester des Bachus, sich mit der trauernden Ariadne vermählt habe, als er sie verlassen auf Naxos angetroffen; und, wie oft geschieht, ist in der Sage, aus dem Priester des Gottes, der Gott selbst gemacht worden.
Ich konnte dieser Meinung nicht beystimmen, da ich mich in der Mythologie mehr zur historischen Ausdeutung hinneige, und ich entgegnete: In der ganzen Fabel, daß Ariadne, nachdem The¬ seus sie auf Naxos sitzen lassen, sich dem Bachus in die Arme geworfen, sehe ich nichts anderes als die Allegorie, daß sie sich, in jenem verlassenen Zustande, dem Trunk ergeben hat, eine Hypothese, die noch mancher Gelehrte meines
die Bilder, den Versbau und die ganze Be¬ handlung jener Mythe.
Ja, ſie iſt ſehr ſchoͤn, ſagte der Profeſſor, und es liegt ihr gewiß eine hiſtoriſche Wahrheit zum Grunde, wie denn auch einige Autoren uns ausdruͤcklich erzaͤhlen, daß Oneus, ein Prieſter des Bachus, ſich mit der trauernden Ariadne vermaͤhlt habe, als er ſie verlaſſen auf Naxos angetroffen; und, wie oft geſchieht, iſt in der Sage, aus dem Prieſter des Gottes, der Gott ſelbſt gemacht worden.
Ich konnte dieſer Meinung nicht beyſtimmen, da ich mich in der Mythologie mehr zur hiſtoriſchen Ausdeutung hinneige, und ich entgegnete: In der ganzen Fabel, daß Ariadne, nachdem The¬ ſeus ſie auf Naxos ſitzen laſſen, ſich dem Bachus in die Arme geworfen, ſehe ich nichts anderes als die Allegorie, daß ſie ſich, in jenem verlaſſenen Zuſtande, dem Trunk ergeben hat, eine Hypotheſe, die noch mancher Gelehrte meines
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[281[282]/0290]
die Bilder, den Versbau und die ganze Be¬
handlung jener Mythe.
Ja, ſie iſt ſehr ſchoͤn, ſagte der Profeſſor,
und es liegt ihr gewiß eine hiſtoriſche Wahrheit
zum Grunde, wie denn auch einige Autoren uns
ausdruͤcklich erzaͤhlen, daß Oneus, ein Prieſter
des Bachus, ſich mit der trauernden Ariadne
vermaͤhlt habe, als er ſie verlaſſen auf Naxos
angetroffen; und, wie oft geſchieht, iſt in der
Sage, aus dem Prieſter des Gottes, der Gott
ſelbſt gemacht worden.
Ich konnte dieſer Meinung nicht beyſtimmen,
da ich mich in der Mythologie mehr zur hiſtoriſchen
Ausdeutung hinneige, und ich entgegnete: In
der ganzen Fabel, daß Ariadne, nachdem The¬
ſeus ſie auf Naxos ſitzen laſſen, ſich dem
Bachus in die Arme geworfen, ſehe ich nichts
anderes als die Allegorie, daß ſie ſich, in jenem
verlaſſenen Zuſtande, dem Trunk ergeben hat,
eine Hypotheſe, die noch mancher Gelehrte meines
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 281[282]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/290>, abgerufen am 22.11.2024.
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