Der Hauptzauber dieses Thals liegt aber ge¬ wiß in dem Umstand, daß es nicht zu groß ist und nicht zu klein, daß die Seele des Beschauers nicht gewaltsam erweitert wird, vielmehr sich eben¬ mäßig mit dem herrlichen Anblick füllt, daß die Häupter der Berge selbst, wie die Appeninen überall, nicht abentheuerlich gothisch erhaben mi߬ gestaltet sind, gleich den Bergkarikaturen, die wir eben sowohl wie die Menschenkarikaturen, in germanischen Ländern finden: sondern, daß ihre edelgeründeten, heiter grünen Formen fast eine Kunstcivilisazion aussprechen, und gar melodisch mit dem blaßblauen Himmel zusammenklingen.
O Jesu! ächzte Gumpelino, als wir, mühsamen Steigens und von der Morgensonne schon etwas stark gewärmt, oberwähnte Zypressenhöhe erreich¬ ten, und, ins Dorf hinabschauend, unsere englische Freundin, hoch zu Roß, wie ein romantisches Mährchenbild, über die Brücke jagen, und eben so traumschnell wieder verschwinden sahen. O Jesu!
Der Hauptzauber dieſes Thals liegt aber ge¬ wiß in dem Umſtand, daß es nicht zu groß iſt und nicht zu klein, daß die Seele des Beſchauers nicht gewaltſam erweitert wird, vielmehr ſich eben¬ maͤßig mit dem herrlichen Anblick fuͤllt, daß die Haͤupter der Berge ſelbſt, wie die Appeninen uͤberall, nicht abentheuerlich gothiſch erhaben mi߬ geſtaltet ſind, gleich den Bergkarikaturen, die wir eben ſowohl wie die Menſchenkarikaturen, in germaniſchen Laͤndern finden: ſondern, daß ihre edelgeruͤndeten, heiter gruͤnen Formen faſt eine Kunſtciviliſazion ausſprechen, und gar melodiſch mit dem blaßblauen Himmel zuſammenklingen.
O Jeſu! aͤchzte Gumpelino, als wir, muͤhſamen Steigens und von der Morgenſonne ſchon etwas ſtark gewaͤrmt, oberwaͤhnte Zypreſſenhoͤhe erreich¬ ten, und, ins Dorf hinabſchauend, unſere engliſche Freundin, hoch zu Roß, wie ein romantiſches Maͤhrchenbild, uͤber die Bruͤcke jagen, und eben ſo traumſchnell wieder verſchwinden ſahen. O Jeſu!
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Der Hauptzauber dieſes Thals liegt aber ge¬
wiß in dem Umſtand, daß es nicht zu groß iſt
und nicht zu klein, daß die Seele des Beſchauers
nicht gewaltſam erweitert wird, vielmehr ſich eben¬
maͤßig mit dem herrlichen Anblick fuͤllt, daß die
Haͤupter der Berge ſelbſt, wie die Appeninen
uͤberall, nicht abentheuerlich gothiſch erhaben mi߬
geſtaltet ſind, gleich den Bergkarikaturen, die wir
eben ſowohl wie die Menſchenkarikaturen, in
germaniſchen Laͤndern finden: ſondern, daß ihre
edelgeruͤndeten, heiter gruͤnen Formen faſt eine
Kunſtciviliſazion ausſprechen, und gar melodiſch
mit dem blaßblauen Himmel zuſammenklingen.
O Jeſu! aͤchzte Gumpelino, als wir, muͤhſamen
Steigens und von der Morgenſonne ſchon etwas
ſtark gewaͤrmt, oberwaͤhnte Zypreſſenhoͤhe erreich¬
ten, und, ins Dorf hinabſchauend, unſere engliſche
Freundin, hoch zu Roß, wie ein romantiſches
Maͤhrchenbild, uͤber die Bruͤcke jagen, und eben ſo
traumſchnell wieder verſchwinden ſahen. O Jeſu!
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/244>, abgerufen am 23.11.2024.
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