nicht lange leben, als seyen sie alle eine Stunde vor ihrem Tode gemalt, als trügen sie alle die wehmüthige Ahnung des Sterbens. Trotz ihrer Heiterkeit erregen die Gestalten des Rubens ein ähnliches Gefühl in unserer Seele, diese scheinen ebenfalls den Todeskeim in sich zu tragen, und es ist uns, als müßten sie eben durch ihre Lebens¬ überfülle, durch ihre rothe Vollblütigkeit, plötzlich vom Schlage gerührt werden. Das ist sie viel¬ leicht, die geheime Verwandschaft, die wir in der Vergleichung beider Meister so wundersam ahnen. Die höchste Lust in einigen Bildern des Rubens und der tiefste Trübsinn in denen des Cornelius erregen in uns vielleicht dasselbe Ge¬ fühl. Woher aber dieser Trübsinn bey einem Niederländer? Es ist vielleicht eben das schaurige Bewußtseyn, daß er einer längst verklungenen Zeit angehört und sein Leben eine mystische Nach¬ sendung ist -- denn ach! er ist nicht bloß der einzige große Maler, der jetzt lebt, sondern viel¬
nicht lange leben, als ſeyen ſie alle eine Stunde vor ihrem Tode gemalt, als truͤgen ſie alle die wehmuͤthige Ahnung des Sterbens. Trotz ihrer Heiterkeit erregen die Geſtalten des Rubens ein aͤhnliches Gefuͤhl in unſerer Seele, dieſe ſcheinen ebenfalls den Todeskeim in ſich zu tragen, und es iſt uns, als muͤßten ſie eben durch ihre Lebens¬ uͤberfuͤlle, durch ihre rothe Vollbluͤtigkeit, ploͤtzlich vom Schlage geruͤhrt werden. Das iſt ſie viel¬ leicht, die geheime Verwandſchaft, die wir in der Vergleichung beider Meiſter ſo wunderſam ahnen. Die hoͤchſte Luſt in einigen Bildern des Rubens und der tiefſte Truͤbſinn in denen des Cornelius erregen in uns vielleicht daſſelbe Ge¬ fuͤhl. Woher aber dieſer Truͤbſinn bey einem Niederlaͤnder? Es iſt vielleicht eben das ſchaurige Bewußtſeyn, daß er einer laͤngſt verklungenen Zeit angehoͤrt und ſein Leben eine myſtiſche Nach¬ ſendung iſt — denn ach! er iſt nicht bloß der einzige große Maler, der jetzt lebt, ſondern viel¬
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[207/0215]
nicht lange leben, als ſeyen ſie alle eine Stunde
vor ihrem Tode gemalt, als truͤgen ſie alle die
wehmuͤthige Ahnung des Sterbens. Trotz ihrer
Heiterkeit erregen die Geſtalten des Rubens ein
aͤhnliches Gefuͤhl in unſerer Seele, dieſe ſcheinen
ebenfalls den Todeskeim in ſich zu tragen, und
es iſt uns, als muͤßten ſie eben durch ihre Lebens¬
uͤberfuͤlle, durch ihre rothe Vollbluͤtigkeit, ploͤtzlich
vom Schlage geruͤhrt werden. Das iſt ſie viel¬
leicht, die geheime Verwandſchaft, die wir in
der Vergleichung beider Meiſter ſo wunderſam
ahnen. Die hoͤchſte Luſt in einigen Bildern des
Rubens und der tiefſte Truͤbſinn in denen des
Cornelius erregen in uns vielleicht daſſelbe Ge¬
fuͤhl. Woher aber dieſer Truͤbſinn bey einem
Niederlaͤnder? Es iſt vielleicht eben das ſchaurige
Bewußtſeyn, daß er einer laͤngſt verklungenen
Zeit angehoͤrt und ſein Leben eine myſtiſche Nach¬
ſendung iſt — denn ach! er iſt nicht bloß der
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/215>, abgerufen am 24.11.2024.
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