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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

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leicht auch der letzte, der auf dieser Erde malen
wird; vor ihm, bis zur Zeit der Caraccis, ist ein
langes Dunkel, und hinter ihm schlagen wieder
die Schatten zusammen, seine Hand ist eine
lichte, einsame Geisterhand in der Nacht der
Kunst, und die Bilder, die sie malt, tragen die
unheimliche Trauer solcher ernsten, schroffen Ab¬
geschiedenheit. Ich habe diese letzte Malerhand
nie ohne geheimen Schauer betrachten können,
wenn ich den Mann selbst sah, den kleinen
scharfen Mann mit den heißen Augen; und doch
wieder erregte diese Hand in mir das Gefühl
der traulichsten Pietät, da ich mich erinnerte,
daß sie mir einst liebreich auf den kleinen Fingern
lag, und mir einige Gesichtskonturen ziehen half,
als ich, ein kleines Bübchen, auf der Akademie
zu Düsseldorf zeichnen lernte.


leicht auch der letzte, der auf dieſer Erde malen
wird; vor ihm, bis zur Zeit der Caraccis, iſt ein
langes Dunkel, und hinter ihm ſchlagen wieder
die Schatten zuſammen, ſeine Hand iſt eine
lichte, einſame Geiſterhand in der Nacht der
Kunſt, und die Bilder, die ſie malt, tragen die
unheimliche Trauer ſolcher ernſten, ſchroffen Ab¬
geſchiedenheit. Ich habe dieſe letzte Malerhand
nie ohne geheimen Schauer betrachten koͤnnen,
wenn ich den Mann ſelbſt ſah, den kleinen
ſcharfen Mann mit den heißen Augen; und doch
wieder erregte dieſe Hand in mir das Gefuͤhl
der traulichſten Pietaͤt, da ich mich erinnerte,
daß ſie mir einſt liebreich auf den kleinen Fingern
lag, und mir einige Geſichtskonturen ziehen half,
als ich, ein kleines Buͤbchen, auf der Akademie
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[208/0216] leicht auch der letzte, der auf dieſer Erde malen wird; vor ihm, bis zur Zeit der Caraccis, iſt ein langes Dunkel, und hinter ihm ſchlagen wieder die Schatten zuſammen, ſeine Hand iſt eine lichte, einſame Geiſterhand in der Nacht der Kunſt, und die Bilder, die ſie malt, tragen die unheimliche Trauer ſolcher ernſten, ſchroffen Ab¬ geſchiedenheit. Ich habe dieſe letzte Malerhand nie ohne geheimen Schauer betrachten koͤnnen, wenn ich den Mann ſelbſt ſah, den kleinen ſcharfen Mann mit den heißen Augen; und doch wieder erregte dieſe Hand in mir das Gefuͤhl der traulichſten Pietaͤt, da ich mich erinnerte, daß ſie mir einſt liebreich auf den kleinen Fingern lag, und mir einige Geſichtskonturen ziehen half, als ich, ein kleines Buͤbchen, auf der Akademie zu Duͤſſeldorf zeichnen lernte.

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/216>, abgerufen am 05.05.2024.