Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

daher haben die mediatisirten Fürsten sehr po¬
litisch gehandelt, als sie sich wenigstens das
Gleichbürtigkeitsrecht erhielten, und ihre Stamm¬
bäume eben so hoch schätzten, wie die Araber
die Stammbäume ihrer Pferde, und zwar aus
derselben Absicht, indem sie wohl wissen, daß
Deutschland von jeher das große Fürstenge¬
stüte war, das alle regierenden Nachbarhäuser
mit den nöthigen Mutterpferden und Beschä¬
lern versehen muß.

In allen Bädern ist es ein altes Gewohn¬
heitsrecht, daß die abgegangenen Gäste von den
zurückgebliebenen etwas stark kritisirt werden,
und da ich der letzte bin, der noch hier weilt, so
durfte ich wohl jenes Recht in vollem Maaße
ausüben.

Es ist aber jetzt so öde auf der Insel,
daß ich mir vorkomme wie Napoleon auf Sanct
Helena. Nur daß ich hier eine Unterhaltung
gefunden, die jenem dort fehlte. Es ist nämlich
der große Kaiser selbst, womit ich mich hier

daher haben die mediatiſirten Fuͤrſten ſehr po¬
litiſch gehandelt, als ſie ſich wenigſtens das
Gleichbuͤrtigkeitsrecht erhielten, und ihre Stamm¬
baͤume eben ſo hoch ſchaͤtzten, wie die Araber
die Stammbaͤume ihrer Pferde, und zwar aus
derſelben Abſicht, indem ſie wohl wiſſen, daß
Deutſchland von jeher das große Fuͤrſtenge¬
ſtuͤte war, das alle regierenden Nachbarhaͤuſer
mit den noͤthigen Mutterpferden und Beſchaͤ¬
lern verſehen muß.

In allen Baͤdern iſt es ein altes Gewohn¬
heitsrecht, daß die abgegangenen Gaͤſte von den
zuruͤckgebliebenen etwas ſtark kritiſirt werden,
und da ich der letzte bin, der noch hier weilt, ſo
durfte ich wohl jenes Recht in vollem Maaße
ausuͤben.

Es iſt aber jetzt ſo oͤde auf der Inſel,
daß ich mir vorkomme wie Napoleon auf Sanct
Helena. Nur daß ich hier eine Unterhaltung
gefunden, die jenem dort fehlte. Es iſt naͤmlich
der große Kaiſer ſelbſt, womit ich mich hier

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0099" n="91"/>
daher haben die mediati&#x017F;irten Fu&#x0364;r&#x017F;ten &#x017F;ehr po¬<lb/>
liti&#x017F;ch gehandelt, als &#x017F;ie &#x017F;ich wenig&#x017F;tens das<lb/>
Gleichbu&#x0364;rtigkeitsrecht erhielten, und ihre Stamm¬<lb/>
ba&#x0364;ume eben &#x017F;o hoch &#x017F;cha&#x0364;tzten, wie die Araber<lb/>
die Stammba&#x0364;ume ihrer Pferde, und zwar aus<lb/>
der&#x017F;elben Ab&#x017F;icht, indem &#x017F;ie wohl wi&#x017F;&#x017F;en, daß<lb/>
Deut&#x017F;chland von jeher das große Fu&#x0364;r&#x017F;tenge¬<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;te war, das alle regierenden Nachbarha&#x0364;u&#x017F;er<lb/>
mit den no&#x0364;thigen Mutterpferden und Be&#x017F;cha&#x0364;¬<lb/>
lern ver&#x017F;ehen muß.</p><lb/>
          <p>In allen Ba&#x0364;dern i&#x017F;t es ein altes Gewohn¬<lb/>
heitsrecht, daß die abgegangenen Ga&#x0364;&#x017F;te von den<lb/>
zuru&#x0364;ckgebliebenen etwas &#x017F;tark kriti&#x017F;irt werden,<lb/>
und da ich der letzte bin, der noch hier weilt, &#x017F;o<lb/>
durfte ich wohl jenes Recht in vollem Maaße<lb/>
ausu&#x0364;ben.</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t aber jetzt &#x017F;o o&#x0364;de auf der In&#x017F;el,<lb/>
daß ich mir vorkomme wie Napoleon auf Sanct<lb/>
Helena. Nur daß ich hier eine Unterhaltung<lb/>
gefunden, die jenem dort fehlte. Es i&#x017F;t na&#x0364;mlich<lb/>
der große Kai&#x017F;er &#x017F;elb&#x017F;t, womit ich mich hier<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[91/0099] daher haben die mediatiſirten Fuͤrſten ſehr po¬ litiſch gehandelt, als ſie ſich wenigſtens das Gleichbuͤrtigkeitsrecht erhielten, und ihre Stamm¬ baͤume eben ſo hoch ſchaͤtzten, wie die Araber die Stammbaͤume ihrer Pferde, und zwar aus derſelben Abſicht, indem ſie wohl wiſſen, daß Deutſchland von jeher das große Fuͤrſtenge¬ ſtuͤte war, das alle regierenden Nachbarhaͤuſer mit den noͤthigen Mutterpferden und Beſchaͤ¬ lern verſehen muß. In allen Baͤdern iſt es ein altes Gewohn¬ heitsrecht, daß die abgegangenen Gaͤſte von den zuruͤckgebliebenen etwas ſtark kritiſirt werden, und da ich der letzte bin, der noch hier weilt, ſo durfte ich wohl jenes Recht in vollem Maaße ausuͤben. Es iſt aber jetzt ſo oͤde auf der Inſel, daß ich mir vorkomme wie Napoleon auf Sanct Helena. Nur daß ich hier eine Unterhaltung gefunden, die jenem dort fehlte. Es iſt naͤmlich der große Kaiſer ſelbſt, womit ich mich hier

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/99
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/99>, abgerufen am 30.04.2024.