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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827.

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doch da hocken sie beysammen, und sprechen nur
von ihren Hunden, Pferden und Ahnen, und
hören wenig neuere Geschichte, und wenn sie
auch wirklich einmal dergleichen hören, so
sind doch unterdessen ihre Sinne befangen durch
den Anblick des Grafentisches, der, ein Wahr¬
zeichen Göttingens, nur für hochgeborene Stu¬
denten bestimmt ist. Wahrlich, durch eine bessere
Erziehung des jungen hannövrischen Adels ließe
sich vielen Klagen vorbauen. Aber die Jungen
werden wie die Alten. Derselbe Wahn: als
wären sie die Blumen der Welt, während wir
Anderen bloß das Gras sind; dieselbe Thor¬
heit: mit dem Verdienste der Ahnen den eigenen
Unwerth bedecken zu wollen; dieselbe Unwissen¬
heit über das Problematische dieser Verdienste,
indem die Wenigsten wissen, daß die Fürsten sel¬
ten ihre treuesten und tugendhaftesten Diener,
aber sehr oft den Kuppler, den Schmeichler und
dergleichen Lieblingsschufte mit adelnder Huld
beehrt haben. Die Wenigsten jener Ahnenstolzen

doch da hocken ſie beyſammen, und ſprechen nur
von ihren Hunden, Pferden und Ahnen, und
hoͤren wenig neuere Geſchichte, und wenn ſie
auch wirklich einmal dergleichen hoͤren, ſo
ſind doch unterdeſſen ihre Sinne befangen durch
den Anblick des Grafentiſches, der, ein Wahr¬
zeichen Goͤttingens, nur fuͤr hochgeborene Stu¬
denten beſtimmt iſt. Wahrlich, durch eine beſſere
Erziehung des jungen hannoͤvriſchen Adels ließe
ſich vielen Klagen vorbauen. Aber die Jungen
werden wie die Alten. Derſelbe Wahn: als
waͤren ſie die Blumen der Welt, waͤhrend wir
Anderen bloß das Gras ſind; dieſelbe Thor¬
heit: mit dem Verdienſte der Ahnen den eigenen
Unwerth bedecken zu wollen; dieſelbe Unwiſſen¬
heit uͤber das Problematiſche dieſer Verdienſte,
indem die Wenigſten wiſſen, daß die Fuͤrſten ſel¬
ten ihre treueſten und tugendhafteſten Diener,
aber ſehr oft den Kuppler, den Schmeichler und
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[86/0094] doch da hocken ſie beyſammen, und ſprechen nur von ihren Hunden, Pferden und Ahnen, und hoͤren wenig neuere Geſchichte, und wenn ſie auch wirklich einmal dergleichen hoͤren, ſo ſind doch unterdeſſen ihre Sinne befangen durch den Anblick des Grafentiſches, der, ein Wahr¬ zeichen Goͤttingens, nur fuͤr hochgeborene Stu¬ denten beſtimmt iſt. Wahrlich, durch eine beſſere Erziehung des jungen hannoͤvriſchen Adels ließe ſich vielen Klagen vorbauen. Aber die Jungen werden wie die Alten. Derſelbe Wahn: als waͤren ſie die Blumen der Welt, waͤhrend wir Anderen bloß das Gras ſind; dieſelbe Thor¬ heit: mit dem Verdienſte der Ahnen den eigenen Unwerth bedecken zu wollen; dieſelbe Unwiſſen¬ heit uͤber das Problematiſche dieſer Verdienſte, indem die Wenigſten wiſſen, daß die Fuͤrſten ſel¬ ten ihre treueſten und tugendhafteſten Diener, aber ſehr oft den Kuppler, den Schmeichler und dergleichen Lieblingsſchufte mit adelnder Huld beehrt haben. Die Wenigſten jener Ahnenſtolzen

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/94>, abgerufen am 24.11.2024.