als ich endlich das langersehnte Brockenhaus zu Gesicht bekam.
Dieses Haus, das, wie durch vielfache Abbil¬ dungen bekannt ist, bloß aus einem Parterre besteht, und auf der Spitze des Berges liegt, wurde erst 1800 vom Grafen Stollberg-Wernigerode erbaut, für dessen Rechnung es auch, als Wirthshaus, ver¬ waltet wird. Die Mauern sind erstaunlich dick, we¬ gen des Windes und der Kälte im Winter: das Dach ist niedrig, in der Mitte desselben steht eine thurmartige Warte, und bei dem Hause liegen noch zwei kleine Nebengebäude, wovon das eine, in frühern Zeiten, den Brockenbesuchern zum Obdach diente.
Der Eintritt in das Brockenhaus erregte bei mir eine etwas ungewöhnliche, mährchenhafte Em¬ pfindung. Man ist nach einem langen, einsamen Umhersteigen durch Tannen und Klippen plötzlich in ein Wolkenhaus versetzt; Städte, Berge und Wälder blieben unten liegen, und oben findet man eine wunderlich zusammengesetzte, fremde Gesell¬
als ich endlich das langerſehnte Brockenhaus zu Geſicht bekam.
Dieſes Haus, das, wie durch vielfache Abbil¬ dungen bekannt iſt, bloß aus einem Parterre beſteht, und auf der Spitze des Berges liegt, wurde erſt 1800 vom Grafen Stollberg-Wernigerode erbaut, fuͤr deſſen Rechnung es auch, als Wirthshaus, ver¬ waltet wird. Die Mauern ſind erſtaunlich dick, we¬ gen des Windes und der Kaͤlte im Winter: das Dach iſt niedrig, in der Mitte deſſelben ſteht eine thurmartige Warte, und bei dem Hauſe liegen noch zwei kleine Nebengebaͤude, wovon das eine, in fruͤhern Zeiten, den Brockenbeſuchern zum Obdach diente.
Der Eintritt in das Brockenhaus erregte bei mir eine etwas ungewoͤhnliche, maͤhrchenhafte Em¬ pfindung. Man iſt nach einem langen, einſamen Umherſteigen durch Tannen und Klippen ploͤtzlich in ein Wolkenhaus verſetzt; Staͤdte, Berge und Waͤlder blieben unten liegen, und oben findet man eine wunderlich zuſammengeſetzte, fremde Geſell¬
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[201/0213]
als ich endlich das langerſehnte Brockenhaus zu
Geſicht bekam.
Dieſes Haus, das, wie durch vielfache Abbil¬
dungen bekannt iſt, bloß aus einem Parterre beſteht,
und auf der Spitze des Berges liegt, wurde erſt
1800 vom Grafen Stollberg-Wernigerode erbaut,
fuͤr deſſen Rechnung es auch, als Wirthshaus, ver¬
waltet wird. Die Mauern ſind erſtaunlich dick, we¬
gen des Windes und der Kaͤlte im Winter: das
Dach iſt niedrig, in der Mitte deſſelben ſteht eine
thurmartige Warte, und bei dem Hauſe liegen noch
zwei kleine Nebengebaͤude, wovon das eine, in
fruͤhern Zeiten, den Brockenbeſuchern zum Obdach
diente.
Der Eintritt in das Brockenhaus erregte bei
mir eine etwas ungewoͤhnliche, maͤhrchenhafte Em¬
pfindung. Man iſt nach einem langen, einſamen
Umherſteigen durch Tannen und Klippen ploͤtzlich
in ein Wolkenhaus verſetzt; Staͤdte, Berge und
Waͤlder blieben unten liegen, und oben findet man
eine wunderlich zuſammengeſetzte, fremde Geſell¬
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/213>, abgerufen am 04.12.2024.
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