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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

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einer Bergecke ihre ästhetische Thee-Gesellschaft hiel¬
ten, sich gemüthlich die "Abendzeitung" vorlasen,
ihre poetischen Ziegenböckchen, die meckernd den Thee¬
tisch umhüpften, als Universal-Genies priesen, und
über alle Erscheinungen in der deutschen Literatur ihr
Endurtheil fällten; doch, als sie auch auf den "Rat¬
kliff" und "Almansor" geriethen, und dem Verfasser
alle Frömmigkeit und Christlichkeit absprachen, da
sträubte sich das Haar des jungen Mannes, Ent¬
setzen ergriff ihn -- ich gab dem Pferde die Sporen
und jagte vorüber.

In der That, wenn man die obere Hälfte des
Brockens besteigt, kann man sich nicht erwehren,
an die ergötzlichen Blocksberg-Geschichten zu denken,
und besonders an die große, mystische, deutsche Na¬
tional-Tragödie vom Docter Faust. Mir war im¬
mer, als ob der Pferdefuß neben mir hinauf klet¬
tere, und Jemand humoristisch Athem schöpfe. Und
ich glaube, auch Mephisto muß mit Mühe Athem
holen, wenn er seinen Lieblingsberg ersteigt; es ist
ein äußerst erschöpfender Weg, und ich war froh,

einer Bergecke ihre aͤſthetiſche Thee-Geſellſchaft hiel¬
ten, ſich gemuͤthlich die „Abendzeitung“ vorlaſen,
ihre poetiſchen Ziegenboͤckchen, die meckernd den Thee¬
tiſch umhuͤpften, als Univerſal-Genies prieſen, und
uͤber alle Erſcheinungen in der deutſchen Literatur ihr
Endurtheil faͤllten; doch, als ſie auch auf den „Rat¬
kliff“ und „Almanſor“ geriethen, und dem Verfaſſer
alle Froͤmmigkeit und Chriſtlichkeit abſprachen, da
ſtraͤubte ſich das Haar des jungen Mannes, Ent¬
ſetzen ergriff ihn — ich gab dem Pferde die Sporen
und jagte voruͤber.

In der That, wenn man die obere Haͤlfte des
Brockens beſteigt, kann man ſich nicht erwehren,
an die ergoͤtzlichen Blocksberg-Geſchichten zu denken,
und beſonders an die große, myſtiſche, deutſche Na¬
tional-Tragoͤdie vom Docter Fauſt. Mir war im¬
mer, als ob der Pferdefuß neben mir hinauf klet¬
tere, und Jemand humoriſtiſch Athem ſchoͤpfe. Und
ich glaube, auch Mephiſto muß mit Muͤhe Athem
holen, wenn er ſeinen Lieblingsberg erſteigt; es iſt
ein aͤußerſt erſchoͤpfender Weg, und ich war froh,

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[200/0212] einer Bergecke ihre aͤſthetiſche Thee-Geſellſchaft hiel¬ ten, ſich gemuͤthlich die „Abendzeitung“ vorlaſen, ihre poetiſchen Ziegenboͤckchen, die meckernd den Thee¬ tiſch umhuͤpften, als Univerſal-Genies prieſen, und uͤber alle Erſcheinungen in der deutſchen Literatur ihr Endurtheil faͤllten; doch, als ſie auch auf den „Rat¬ kliff“ und „Almanſor“ geriethen, und dem Verfaſſer alle Froͤmmigkeit und Chriſtlichkeit abſprachen, da ſtraͤubte ſich das Haar des jungen Mannes, Ent¬ ſetzen ergriff ihn — ich gab dem Pferde die Sporen und jagte voruͤber. In der That, wenn man die obere Haͤlfte des Brockens beſteigt, kann man ſich nicht erwehren, an die ergoͤtzlichen Blocksberg-Geſchichten zu denken, und beſonders an die große, myſtiſche, deutſche Na¬ tional-Tragoͤdie vom Docter Fauſt. Mir war im¬ mer, als ob der Pferdefuß neben mir hinauf klet¬ tere, und Jemand humoriſtiſch Athem ſchoͤpfe. Und ich glaube, auch Mephiſto muß mit Muͤhe Athem holen, wenn er ſeinen Lieblingsberg erſteigt; es iſt ein aͤußerſt erſchoͤpfender Weg, und ich war froh,

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/212>, abgerufen am 04.12.2024.