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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

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von den schönsten Moosarten, wie mit hellgrünen
Sammetpolstern, bewachsen. Liebliche Kühle und
träumerisches Quellengemurmel. Hier und da sieht
man, wie das Wasser unter den Steinen silberhell
hinrieselt und die nackten Baumwurzeln und Fasern
bespült. Wenn man sich nach diesem Treiben hinab
beugt, so belauscht man gleichsam die geheime Bil¬
dungsgeschichte der Pflanzen und das ruhige Herz¬
klopfen des Berges. An manchen Orten sprudelt
das Wasser aus den Steinen und Wurzeln stärker
hervor und bildet kleine Kaskaden. Da läßt sich
gut sitzen. Es murmelt und rauscht so wunderbar,
die Vögel singen abgebrochene Sehnsuchtslaute, die
Bäume flüstern wie mit tausend Mädchen-Zungen,
wie mit tausend Mädchen-Augen schauen uns an
die seltsamen Bergblumen, sie strecken nach uns
aus die wundersam breiten, drollig gezackten Blät¬
ter, spielend flimmern hin und her die lustigen
Sonnenstrahlen, die sinnigen Kräutlein erzählen
sich grüne Mährchen, es ist Alles wie verzau¬
bert, es wird immer heimlicher und heimlicher,

von den ſchoͤnſten Moosarten, wie mit hellgruͤnen
Sammetpolſtern, bewachſen. Liebliche Kuͤhle und
traͤumeriſches Quellengemurmel. Hier und da ſieht
man, wie das Waſſer unter den Steinen ſilberhell
hinrieſelt und die nackten Baumwurzeln und Faſern
beſpuͤlt. Wenn man ſich nach dieſem Treiben hinab
beugt, ſo belauſcht man gleichſam die geheime Bil¬
dungsgeſchichte der Pflanzen und das ruhige Herz¬
klopfen des Berges. An manchen Orten ſprudelt
das Waſſer aus den Steinen und Wurzeln ſtaͤrker
hervor und bildet kleine Kaskaden. Da laͤßt ſich
gut ſitzen. Es murmelt und rauſcht ſo wunderbar,
die Voͤgel ſingen abgebrochene Sehnſuchtslaute, die
Baͤume fluͤſtern wie mit tauſend Maͤdchen-Zungen,
wie mit tauſend Maͤdchen-Augen ſchauen uns an
die ſeltſamen Bergblumen, ſie ſtrecken nach uns
aus die wunderſam breiten, drollig gezackten Blaͤt¬
ter, ſpielend flimmern hin und her die luſtigen
Sonnenſtrahlen, die ſinnigen Kraͤutlein erzaͤhlen
ſich gruͤne Maͤhrchen, es iſt Alles wie verzau¬
bert, es wird immer heimlicher und heimlicher,

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[198/0210] von den ſchoͤnſten Moosarten, wie mit hellgruͤnen Sammetpolſtern, bewachſen. Liebliche Kuͤhle und traͤumeriſches Quellengemurmel. Hier und da ſieht man, wie das Waſſer unter den Steinen ſilberhell hinrieſelt und die nackten Baumwurzeln und Faſern beſpuͤlt. Wenn man ſich nach dieſem Treiben hinab beugt, ſo belauſcht man gleichſam die geheime Bil¬ dungsgeſchichte der Pflanzen und das ruhige Herz¬ klopfen des Berges. An manchen Orten ſprudelt das Waſſer aus den Steinen und Wurzeln ſtaͤrker hervor und bildet kleine Kaskaden. Da laͤßt ſich gut ſitzen. Es murmelt und rauſcht ſo wunderbar, die Voͤgel ſingen abgebrochene Sehnſuchtslaute, die Baͤume fluͤſtern wie mit tauſend Maͤdchen-Zungen, wie mit tauſend Maͤdchen-Augen ſchauen uns an die ſeltſamen Bergblumen, ſie ſtrecken nach uns aus die wunderſam breiten, drollig gezackten Blaͤt¬ ter, ſpielend flimmern hin und her die luſtigen Sonnenſtrahlen, die ſinnigen Kraͤutlein erzaͤhlen ſich gruͤne Maͤhrchen, es iſt Alles wie verzau¬ bert, es wird immer heimlicher und heimlicher,

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/210>, abgerufen am 04.12.2024.