Erfindungsgeist in der protestantischen Kirche! Denn, wer sollte dies denken! die Zahlen auf besagtem Stück Holze sind die Psalm-Nummern, welche gewöhnlich mit Kreide auf einer schwarzen Tafel verzeichnet werden, und auf den ästhetischen Sinn etwas nüch¬ tern wirken, aber jetzt, durch obige Erfindung, so¬ gar zur Zierde der Kirche dienen, und die so oft darin vermißten Raphaelschen Bilder hinläng¬ lich ersetzen. Solche Fortschritte freuen mich un¬ endlich, da ich, der ich Protestant und zwar Luthe¬ raner bin, immer tief betrübt worden, wenn katho¬ lische Gegner das leere, gottverlassene Ansehen pro¬ testantischer Kirchen bespötteln konnten.
Ich logirte in einem Gasthofe nahe dem Markte, wo mir das Mittagessen noch besser geschmeckt ha¬ ben würde, hätte sich nur nicht der Herr Wirth mit seinem langen, überflüssigen Gesichte und sei¬ nen langweiligen Fragen zu mir hin gesetzt; glück¬ licher Weise ward ich bald erlöst durch die Ankunft eines andern Reisenden, der dieselben Fragen in der¬ selben Ordnung aushalten mußte: quis? quid? ubi?
Erfindungsgeiſt in der proteſtantiſchen Kirche! Denn, wer ſollte dies denken! die Zahlen auf beſagtem Stuͤck Holze ſind die Pſalm-Nummern, welche gewoͤhnlich mit Kreide auf einer ſchwarzen Tafel verzeichnet werden, und auf den aͤſthetiſchen Sinn etwas nuͤch¬ tern wirken, aber jetzt, durch obige Erfindung, ſo¬ gar zur Zierde der Kirche dienen, und die ſo oft darin vermißten Raphaelſchen Bilder hinlaͤng¬ lich erſetzen. Solche Fortſchritte freuen mich un¬ endlich, da ich, der ich Proteſtant und zwar Luthe¬ raner bin, immer tief betruͤbt worden, wenn katho¬ liſche Gegner das leere, gottverlaſſene Anſehen pro¬ teſtantiſcher Kirchen beſpoͤtteln konnten.
Ich logirte in einem Gaſthofe nahe dem Markte, wo mir das Mittageſſen noch beſſer geſchmeckt ha¬ ben wuͤrde, haͤtte ſich nur nicht der Herr Wirth mit ſeinem langen, uͤberfluͤſſigen Geſichte und ſei¬ nen langweiligen Fragen zu mir hin geſetzt; gluͤck¬ licher Weiſe ward ich bald erloͤſt durch die Ankunft eines andern Reiſenden, der dieſelben Fragen in der¬ ſelben Ordnung aushalten mußte: quis? quid? ubi?
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Erfindungsgeiſt in der proteſtantiſchen Kirche! Denn,
wer ſollte dies denken! die Zahlen auf beſagtem Stuͤck
Holze ſind die Pſalm-Nummern, welche gewoͤhnlich
mit Kreide auf einer ſchwarzen Tafel verzeichnet
werden, und auf den aͤſthetiſchen Sinn etwas nuͤch¬
tern wirken, aber jetzt, durch obige Erfindung, ſo¬
gar zur Zierde der Kirche dienen, und die ſo
oft darin vermißten Raphaelſchen Bilder hinlaͤng¬
lich erſetzen. Solche Fortſchritte freuen mich un¬
endlich, da ich, der ich Proteſtant und zwar Luthe¬
raner bin, immer tief betruͤbt worden, wenn katho¬
liſche Gegner das leere, gottverlaſſene Anſehen pro¬
teſtantiſcher Kirchen beſpoͤtteln konnten.
Ich logirte in einem Gaſthofe nahe dem Markte,
wo mir das Mittageſſen noch beſſer geſchmeckt ha¬
ben wuͤrde, haͤtte ſich nur nicht der Herr Wirth
mit ſeinem langen, uͤberfluͤſſigen Geſichte und ſei¬
nen langweiligen Fragen zu mir hin geſetzt; gluͤck¬
licher Weiſe ward ich bald erloͤſt durch die Ankunft
eines andern Reiſenden, der dieſelben Fragen in der¬
ſelben Ordnung aushalten mußte: quis? quid? ubi?
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/175>, abgerufen am 04.12.2024.
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