ferner ein hölzener Christus am Kreuz, und ein heid¬ nischer Opfer-Altar aus unbekanntem Metall; er hat die Gestalt einer länglich viereckigen Lade, und wird von vier Caryatiden getragen, die, in geduck¬ ter Stellung, die Hände stützend über dem Kopfe halten, und unerfreulich häßliche Gesichter schnei¬ den. Indessen noch unerfreulicher ist das dabeiste¬ hende, schon erwähnte, große hölzerne Crucifix. Dieser Christuskopf, mit natürlichen Haaren und Dornen und blutbeschmiertem Gesichte, zeigt freilich höchst meisterhaft das Hinsterben eines Menschen, aber nicht eines gottgebornen Heilands. Nur das materielle Leiden ist in dieses Gesicht hinein ge¬ schnitzelt, nicht die Poesie des Schmerzes. Solch Bild gehört eher in einen anatomischen Lehrsaal, als in ein Gotteshaus. Die kunsterfahrene Frau Küsterin, die mich herum führte, zeigte mir noch, als ganz besondere Rarität, ein vieleckiges, wohl¬ gehobeltes, schwarzes, mit weißen Zahlen bedecktes Stück Holz, das ampelartig in der Mitte der Kirche hängt. O, wie glänzend zeigt sich hier der
ferner ein hoͤlzener Chriſtus am Kreuz, und ein heid¬ niſcher Opfer-Altar aus unbekanntem Metall; er hat die Geſtalt einer laͤnglich viereckigen Lade, und wird von vier Caryatiden getragen, die, in geduck¬ ter Stellung, die Haͤnde ſtuͤtzend uͤber dem Kopfe halten, und unerfreulich haͤßliche Geſichter ſchnei¬ den. Indeſſen noch unerfreulicher iſt das dabeiſte¬ hende, ſchon erwaͤhnte, große hoͤlzerne Crucifix. Dieſer Chriſtuskopf, mit natuͤrlichen Haaren und Dornen und blutbeſchmiertem Geſichte, zeigt freilich hoͤchſt meiſterhaft das Hinſterben eines Menſchen, aber nicht eines gottgebornen Heilands. Nur das materielle Leiden iſt in dieſes Geſicht hinein ge¬ ſchnitzelt, nicht die Poeſie des Schmerzes. Solch Bild gehoͤrt eher in einen anatomiſchen Lehrſaal, als in ein Gotteshaus. Die kunſterfahrene Frau Kuͤſterin, die mich herum fuͤhrte, zeigte mir noch, als ganz beſondere Raritaͤt, ein vieleckiges, wohl¬ gehobeltes, ſchwarzes, mit weißen Zahlen bedecktes Stuͤck Holz, das ampelartig in der Mitte der Kirche haͤngt. O, wie glaͤnzend zeigt ſich hier der
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ferner ein hoͤlzener Chriſtus am Kreuz, und ein heid¬
niſcher Opfer-Altar aus unbekanntem Metall; er
hat die Geſtalt einer laͤnglich viereckigen Lade, und
wird von vier Caryatiden getragen, die, in geduck¬
ter Stellung, die Haͤnde ſtuͤtzend uͤber dem Kopfe
halten, und unerfreulich haͤßliche Geſichter ſchnei¬
den. Indeſſen noch unerfreulicher iſt das dabeiſte¬
hende, ſchon erwaͤhnte, große hoͤlzerne Crucifix.
Dieſer Chriſtuskopf, mit natuͤrlichen Haaren und
Dornen und blutbeſchmiertem Geſichte, zeigt freilich
hoͤchſt meiſterhaft das Hinſterben eines Menſchen,
aber nicht eines gottgebornen Heilands. Nur das
materielle Leiden iſt in dieſes Geſicht hinein ge¬
ſchnitzelt, nicht die Poeſie des Schmerzes. Solch
Bild gehoͤrt eher in einen anatomiſchen Lehrſaal,
als in ein Gotteshaus. Die kunſterfahrene Frau
Kuͤſterin, die mich herum fuͤhrte, zeigte mir noch,
als ganz beſondere Raritaͤt, ein vieleckiges, wohl¬
gehobeltes, ſchwarzes, mit weißen Zahlen bedecktes
Stuͤck Holz, das ampelartig in der Mitte der
Kirche haͤngt. O, wie glaͤnzend zeigt ſich hier der
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/174>, abgerufen am 04.12.2024.
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