Dreck am Meer; wahrlich, wenn ich sie des Mor¬ gens, mit ihren schmutzigen Gesichtern und weißen Rechnungen, vor den Pforten des akademischen Gerichtes aufgepflanzt sah, so mochte ich kaum begreifen, wie Gott nur so viel Lumpenpack er¬ schaffen konnte.
Ausführlicheres über die Stadt Göttingen läßt sich sehr bequem nachlesen in der Topographie der¬ selben von K. F. H. Marx. Obzwar ich ge¬ gen den Verfasser, der mein Arzt war und mir viel Liebes erzeigte, die heiligsten Verpflichtungen hege, so kann ich doch sein Werk nicht unbe¬ dingt empfehlen, und ich muß tadeln, daß er jener falschen Meinung, als hätten die Göttingerinnen allzugroße Füße, nicht streng genug widerspricht. Ja, ich habe mich sogar seit Jahr und Tag mit einer ernsten Widerlegung dieser Meinung beschäff¬ tigt, ich habe deshalb vergleichende Anatomie ge¬ hört, die seltensten Werke auf der Bibliothek excerpirt, auf der Weenderstraße stundenlang die Füße der vorübergehenden Damen studiert, und in
Dreck am Meer; wahrlich, wenn ich ſie des Mor¬ gens, mit ihren ſchmutzigen Geſichtern und weißen Rechnungen, vor den Pforten des akademiſchen Gerichtes aufgepflanzt ſah, ſo mochte ich kaum begreifen, wie Gott nur ſo viel Lumpenpack er¬ ſchaffen konnte.
Ausfuͤhrlicheres uͤber die Stadt Goͤttingen laͤßt ſich ſehr bequem nachleſen in der Topographie der¬ ſelben von K. F. H. Marx. Obzwar ich ge¬ gen den Verfaſſer, der mein Arzt war und mir viel Liebes erzeigte, die heiligſten Verpflichtungen hege, ſo kann ich doch ſein Werk nicht unbe¬ dingt empfehlen, und ich muß tadeln, daß er jener falſchen Meinung, als haͤtten die Goͤttingerinnen allzugroße Fuͤße, nicht ſtreng genug widerſpricht. Ja, ich habe mich ſogar ſeit Jahr und Tag mit einer ernſten Widerlegung dieſer Meinung beſchaͤff¬ tigt, ich habe deshalb vergleichende Anatomie ge¬ hoͤrt, die ſeltenſten Werke auf der Bibliothek excerpirt, auf der Weenderſtraße ſtundenlang die Fuͤße der voruͤbergehenden Damen ſtudiert, und in
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Dreck am Meer; wahrlich, wenn ich ſie des Mor¬
gens, mit ihren ſchmutzigen Geſichtern und weißen
Rechnungen, vor den Pforten des akademiſchen
Gerichtes aufgepflanzt ſah, ſo mochte ich kaum
begreifen, wie Gott nur ſo viel Lumpenpack er¬
ſchaffen konnte.
Ausfuͤhrlicheres uͤber die Stadt Goͤttingen laͤßt
ſich ſehr bequem nachleſen in der Topographie der¬
ſelben von K. F. H. Marx. Obzwar ich ge¬
gen den Verfaſſer, der mein Arzt war und mir
viel Liebes erzeigte, die heiligſten Verpflichtungen
hege, ſo kann ich doch ſein Werk nicht unbe¬
dingt empfehlen, und ich muß tadeln, daß er jener
falſchen Meinung, als haͤtten die Goͤttingerinnen
allzugroße Fuͤße, nicht ſtreng genug widerſpricht.
Ja, ich habe mich ſogar ſeit Jahr und Tag mit
einer ernſten Widerlegung dieſer Meinung beſchaͤff¬
tigt, ich habe deshalb vergleichende Anatomie ge¬
hoͤrt, die ſeltenſten Werke auf der Bibliothek
excerpirt, auf der Weenderſtraße ſtundenlang die
Fuͤße der voruͤbergehenden Damen ſtudiert, und in
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/129>, abgerufen am 26.11.2024.
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