Gedanken seines freyen Selbsts noch nicht erfasst hat. Aber jenes ruhige unmittelbare Vertrauen zur Sub- stanz geht in das Vertrauen zu sich und in die Ge- wissheit seiner selbst zurück, und die Vielheit der Rech- te und Pflichten wie das beschränkte Thun ist die- selbe dialektische Bewegung des Sittlichen, als die Vielheit der Dinge und ihrer Bestimmungen, -- eine Bewegung, die nur in der Einfachheit des seiner gewissen Geistes ihre Ruhe und Festigkeit findet. -- Die Vollendung der Sittlichkeit zum freyen Selbst- bewusstseyn und das Schicksal der sittlichen Welt ist daher die in sich gegangene Individualität, der ab- solute Leichtsinn des sittlichen Geistes, der alle festen Unterschiede seines Bestehens und die Massen seiner organischen Gegliederung in sich aufgelöst, und voll- kommen seiner sicher zur schrankenlosen Freudigkeit und zum freysten Genusse seiner selbst gelangt ist. Diese einfache Gewissheit des Geistes in sich ist das Zweydeutige, ruhiges Bestehen und feste Wahrheit, -- so wie absolute Unruhe und das Vergehen der Sittlichkeit zu seyn. Sie schlägt aber in das letztre um, denn die Wahrheit des sittlichen Geistes ist nur erst noch diss substantielle Wesen und Ver- trauen, worin das Selbst sich nicht als freye Einzel- heit weiss, und das daher in dieser Innerlichkeit oder in dem Freywerden des Selbsts zu Grunde geht. Indem also das Vertrauen gebrochen, die Substanz des Volks in sich geknickt ist, so ist der Geist, der die Mitte von bestandlosen Extremen war, nunmehr
Gedanken seines freyen Selbsts noch nicht erfaſst hat. Aber jenes ruhige unmittelbare Vertrauen zur Sub- stanz geht in das Vertrauen zu sich und in die Ge- wiſsheit seiner selbst zurück, und die Vielheit der Rech- te und Pflichten wie das beschränkte Thun ist die- selbe dialektische Bewegung des Sittlichen, als die Vielheit der Dinge und ihrer Bestimmungen, — eine Bewegung, die nur in der Einfachheit des seiner gewiſſen Geistes ihre Ruhe und Festigkeit findet. — Die Vollendung der Sittlichkeit zum freyen Selbst- bewuſstseyn und das Schicksal der sittlichen Welt ist daher die in sich gegangene Individualität, der ab- solute Leichtsinn des sittlichen Geistes, der alle festen Unterschiede seines Bestehens und die Maſſen seiner organischen Gegliederung in sich aufgelöst, und voll- kommen seiner sicher zur schrankenlosen Freudigkeit und zum freysten Genuſſe seiner selbst gelangt ist. Diese einfache Gewiſsheit des Geistes in sich ist das Zweydeutige, ruhiges Bestehen und feste Wahrheit, — so wie absolute Unruhe und das Vergehen der Sittlichkeit zu seyn. Sie schlägt aber in das letztre um, denn die Wahrheit des sittlichen Geistes ist nur erst noch diſs substantielle Wesen und Ver- trauen, worin das Selbst sich nicht als freye Einzel- heit weiſs, und das daher in dieser Innerlichkeit oder in dem Freywerden des Selbsts zu Grunde geht. Indem also das Vertrauen gebrochen, die Substanz des Volks in sich geknickt ist, so ist der Geist, der die Mitte von bestandlosen Extremen war, nunmehr
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0762"n="653"/>
Gedanken seines freyen Selbsts noch nicht erfaſst hat.<lb/>
Aber jenes ruhige <hirendition="#i">unmittelbare</hi> Vertrauen zur Sub-<lb/>
stanz geht in das Vertrauen <hirendition="#i">zu sich</hi> und in die <hirendition="#i">Ge-<lb/>
wiſsheit seiner selbst</hi> zurück, und die Vielheit der Rech-<lb/>
te und Pflichten wie das beschränkte Thun ist die-<lb/>
selbe dialektische Bewegung des Sittlichen, als die<lb/>
Vielheit der Dinge und ihrer Bestimmungen, — eine<lb/>
Bewegung, die nur in der Einfachheit des seiner<lb/>
gewiſſen Geistes ihre Ruhe und Festigkeit findet. —<lb/>
Die Vollendung der Sittlichkeit zum freyen Selbst-<lb/>
bewuſstseyn und das Schicksal der sittlichen Welt<lb/>
ist daher die in sich gegangene Individualität, der ab-<lb/>
solute Leichtsinn des sittlichen Geistes, der alle festen<lb/>
Unterschiede seines Bestehens und die Maſſen seiner<lb/>
organischen Gegliederung in sich aufgelöst, und voll-<lb/>
kommen seiner sicher zur schrankenlosen Freudigkeit<lb/>
und zum freysten Genuſſe seiner selbst gelangt ist.<lb/>
Diese einfache Gewiſsheit des Geistes in sich ist das<lb/>
Zweydeutige, ruhiges Bestehen und feste Wahrheit,<lb/>— so wie absolute Unruhe und das Vergehen der<lb/>
Sittlichkeit zu seyn. Sie schlägt aber in das letztre<lb/>
um, denn die Wahrheit des sittlichen Geistes ist<lb/>
nur erst noch diſs substantielle Wesen und Ver-<lb/>
trauen, worin das Selbst sich nicht als freye Einzel-<lb/>
heit weiſs, und das daher in dieser Innerlichkeit<lb/>
oder in dem Freywerden des Selbsts zu Grunde geht.<lb/>
Indem also das Vertrauen gebrochen, die Substanz<lb/>
des Volks in sich geknickt ist, so ist der Geist, der<lb/>
die Mitte von bestandlosen Extremen war, nunmehr<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[653/0762]
Gedanken seines freyen Selbsts noch nicht erfaſst hat.
Aber jenes ruhige unmittelbare Vertrauen zur Sub-
stanz geht in das Vertrauen zu sich und in die Ge-
wiſsheit seiner selbst zurück, und die Vielheit der Rech-
te und Pflichten wie das beschränkte Thun ist die-
selbe dialektische Bewegung des Sittlichen, als die
Vielheit der Dinge und ihrer Bestimmungen, — eine
Bewegung, die nur in der Einfachheit des seiner
gewiſſen Geistes ihre Ruhe und Festigkeit findet. —
Die Vollendung der Sittlichkeit zum freyen Selbst-
bewuſstseyn und das Schicksal der sittlichen Welt
ist daher die in sich gegangene Individualität, der ab-
solute Leichtsinn des sittlichen Geistes, der alle festen
Unterschiede seines Bestehens und die Maſſen seiner
organischen Gegliederung in sich aufgelöst, und voll-
kommen seiner sicher zur schrankenlosen Freudigkeit
und zum freysten Genuſſe seiner selbst gelangt ist.
Diese einfache Gewiſsheit des Geistes in sich ist das
Zweydeutige, ruhiges Bestehen und feste Wahrheit,
— so wie absolute Unruhe und das Vergehen der
Sittlichkeit zu seyn. Sie schlägt aber in das letztre
um, denn die Wahrheit des sittlichen Geistes ist
nur erst noch diſs substantielle Wesen und Ver-
trauen, worin das Selbst sich nicht als freye Einzel-
heit weiſs, und das daher in dieser Innerlichkeit
oder in dem Freywerden des Selbsts zu Grunde geht.
Indem also das Vertrauen gebrochen, die Substanz
des Volks in sich geknickt ist, so ist der Geist, der
die Mitte von bestandlosen Extremen war, nunmehr
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 653. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/762>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.