Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

ziehung auf Natur und Sinnlichkeit steht. Allein die
Realität der reinen Pflicht ist ihre Verwirklichung in
Natur und Sinnlichkeit. Das moralische Bewusst-
seyn setzt seine Unvollkommenheit darein, dass in
ihm die Moralität eine positive Beziehung auf die Na-
tur und Sinnlichkeit hat, da ihm diss für ein wesent-
liches Moment derselben gilt, dass sie schlechthin
nur eine negative Beziehung darauf habe. Das reine
moralische Wesen dagegen, weil es erhaben über
den Kampf mit der Natur und Sinnlichkeit ist, steht
nicht in einer negativen Beziehung darauf. Es bleibt
ihm also in der That nur die positive Beziehung da-
rauf übrig, d. h. eben dasjenige, was so eben als das
unvollendete, als das unmoralische galt. Die reine
Moralität
aber ganz getrennt von der Wirklichkeit, so
dass sie ebensosehr ohne positive Beziehung auf diese
wäre, wäre eine bewusstlose, unwirkliche Abstrac-
tion, worinn der Begriff der Moralität, Denken der
reinen Pflicht und ein Willen und Thun zu seyn,
schlechthin aufgehoben wäre. Dieses so rein morali-
sche Wesen ist daher wieder eine Verstellung der Sa-
che, und aufzugeben.

In diesem rein moralischen Wesen aber nähern
sich die Momente des Widerspruchs, in welchem diss
synthetische Vorstellen sich herumtreibt, und die ent-
gegengesetzten Auchs, die es, ohne diese seine Gedan-
ken zusammenzubringen, aufeinander folgen, und ein
Gegentheil immer durch das andere ablösen lässt, so

O o

ziehung auf Natur und Sinnlichkeit steht. Allein die
Realität der reinen Pflicht ist ihre Verwirklichung in
Natur und Sinnlichkeit. Das moralische Bewuſst-
seyn setzt seine Unvollkommenheit darein, daſs in
ihm die Moralität eine positive Beziehung auf die Na-
tur und Sinnlichkeit hat, da ihm diſs für ein wesent-
liches Moment derselben gilt, daſs sie schlechthin
nur eine negative Beziehung darauf habe. Das reine
moralische Wesen dagegen, weil es erhaben über
den Kampf mit der Natur und Sinnlichkeit ist, steht
nicht in einer negativen Beziehung darauf. Es bleibt
ihm also in der That nur die positive Beziehung da-
rauf übrig, d. h. eben dasjenige, was so eben als das
unvollendete, als das unmoralische galt. Die reine
Moralität
aber ganz getrennt von der Wirklichkeit, so
daſs sie ebensosehr ohne positive Beziehung auf diese
wäre, wäre eine bewuſstlose, unwirkliche Abstrac-
tion, worinn der Begriff der Moralität, Denken der
reinen Pflicht und ein Willen und Thun zu ſeyn,
schlechthin aufgehoben wäre. Dieses so rein morali-
sche Wesen ist daher wieder eine Verstellung der Sa-
che, und aufzugeben.

In diesem rein moralischen Wesen aber nähern
sich die Momente des Widerspruchs, in welchem diſs
synthetische Vorstellen sich herumtreibt, und die ent-
gegengesetzten Auchs, die es, ohne diese seine Gedan-
ken zusammenzubringen, aufeinander folgen, und ein
Gegentheil immer durch das andere ablösen läſst, so

O o
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0686" n="577"/>
ziehung auf Natur und Sinnlichkeit steht. Allein die<lb/><hi rendition="#i">Realität</hi> der reinen Pflicht ist ihre <hi rendition="#i">Verwirklichung</hi> in<lb/>
Natur und Sinnlichkeit. Das moralische Bewu&#x017F;st-<lb/>
seyn setzt seine Unvollkommenheit darein, da&#x017F;s in<lb/>
ihm die Moralität eine <hi rendition="#i">positive</hi> Beziehung auf die Na-<lb/>
tur und Sinnlichkeit hat, da ihm di&#x017F;s für ein wesent-<lb/>
liches Moment derselben gilt, da&#x017F;s sie schlechthin<lb/>
nur eine <hi rendition="#i">negative</hi> Beziehung darauf habe. Das reine<lb/>
moralische Wesen dagegen, weil es erhaben über<lb/>
den <hi rendition="#i">Kampf</hi> mit der Natur und Sinnlichkeit ist, steht<lb/>
nicht in einer <hi rendition="#i">negativen</hi> Beziehung darauf. Es bleibt<lb/>
ihm also in der That nur die <hi rendition="#i">positive</hi> Beziehung da-<lb/>
rauf übrig, d. h. eben dasjenige, was so eben als das<lb/>
unvollendete, als das unmoralische galt. Die <hi rendition="#i">reine<lb/>
Moralität</hi> aber ganz getrennt von der Wirklichkeit, so<lb/>
da&#x017F;s sie ebensosehr ohne positive Beziehung auf diese<lb/>
wäre, wäre eine bewu&#x017F;stlose, unwirkliche Abstrac-<lb/>
tion, worinn der Begriff der Moralität, Denken der<lb/>
reinen Pflicht und ein Willen und Thun zu &#x017F;eyn,<lb/>
schlechthin aufgehoben wäre. Dieses so rein morali-<lb/>
sche Wesen ist daher wieder eine Verstellung der Sa-<lb/>
che, und aufzugeben.</p><lb/>
              <p>In diesem rein moralischen Wesen aber nähern<lb/>
sich die Momente des Widerspruchs, in welchem di&#x017F;s<lb/>
synthetische Vorstellen sich herumtreibt, und die ent-<lb/>
gegengesetzten <hi rendition="#i">Auchs</hi>, die es, ohne diese seine Gedan-<lb/>
ken zusammenzubringen, aufeinander folgen, und ein<lb/>
Gegentheil immer durch das andere ablösen lä&#x017F;st, so<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O o</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[577/0686] ziehung auf Natur und Sinnlichkeit steht. Allein die Realität der reinen Pflicht ist ihre Verwirklichung in Natur und Sinnlichkeit. Das moralische Bewuſst- seyn setzt seine Unvollkommenheit darein, daſs in ihm die Moralität eine positive Beziehung auf die Na- tur und Sinnlichkeit hat, da ihm diſs für ein wesent- liches Moment derselben gilt, daſs sie schlechthin nur eine negative Beziehung darauf habe. Das reine moralische Wesen dagegen, weil es erhaben über den Kampf mit der Natur und Sinnlichkeit ist, steht nicht in einer negativen Beziehung darauf. Es bleibt ihm also in der That nur die positive Beziehung da- rauf übrig, d. h. eben dasjenige, was so eben als das unvollendete, als das unmoralische galt. Die reine Moralität aber ganz getrennt von der Wirklichkeit, so daſs sie ebensosehr ohne positive Beziehung auf diese wäre, wäre eine bewuſstlose, unwirkliche Abstrac- tion, worinn der Begriff der Moralität, Denken der reinen Pflicht und ein Willen und Thun zu ſeyn, schlechthin aufgehoben wäre. Dieses so rein morali- sche Wesen ist daher wieder eine Verstellung der Sa- che, und aufzugeben. In diesem rein moralischen Wesen aber nähern sich die Momente des Widerspruchs, in welchem diſs synthetische Vorstellen sich herumtreibt, und die ent- gegengesetzten Auchs, die es, ohne diese seine Gedan- ken zusammenzubringen, aufeinander folgen, und ein Gegentheil immer durch das andere ablösen läſst, so O o

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/686
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 577. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/686>, abgerufen am 19.05.2024.