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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807.

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vereinzelnten Aeusserungen zurückdrängen und die
oberflächlichen Symptome dämpfen. Es ist ihr diss
höchst vortheilhafft; denn sie vergeudet nun nicht
unnütz die Krafft, noch zeigt sie sich ihres Wesens
unwürdig, was dann der Fall ist, wenn sie in Symp-
tome und einzelne Eruptionen gegen den Inhalt des
Glaubens und gegen den Zusammenhang seiner äus-
sern Wirklichkeit hervorbricht. Sondern nun ein un-
sichtbarer und unbemerkter Geist, durchschleicht sie
die edeln Theile durch und durch, und hat sich bald
aller Eingeweide und Glieder des bewusstlosen Götzen
gründlich bemächtigt, und "an einem schönen Morgen
gibt sie mit dem Ellbogen dem Kameraden einen
Schubb und Bautz! Baradautz! der Götze liegt am Bo-
den." -- An einem schönen Morgen, dessen Mittag nicht
blutig ist, wenn die Ansteckung alle Organe des gei-
stigen Lebens durchdrungen hat; nur das Gedächt-
niss bewahrt dann noch als eine, man weiss nicht
wie, vergangene Geschichte, die todte Weise der vo-
rigen Gestalt des Geistes auf; und die neue für die
Anbetung erhöhte Schlange der Weisheit hat auf diese
Weise nur eine welke Haut schmerzlos abgestreifft.

Aber dieses stumme Fortweben des Geistes im
einfachen Innern seiner Substanz, der sich sein Thun
verbirgt, ist nur Eine Seite der Realisirung der rei-
nen Einsicht. Ihre Verbreitung besteht nicht nur
darin, dass Gleiches mit Gleichem zusammengeht;
und ihre Verwirklichung ist nicht nur eine gegen-
satzlose Ausdehnung. Sondern das Thun des nega-

vereinzelnten Aeuſſerungen zurückdrängen und die
oberflächlichen Symptome dämpfen. Es ist ihr diſs
höchst vortheilhafft; denn sie vergeudet nun nicht
unnütz die Krafft, noch zeigt sie sich ihres Wesens
unwürdig, was dann der Fall ist, wenn sie in Symp-
tome und einzelne Eruptionen gegen den Inhalt des
Glaubens und gegen den Zuſammenhang seiner äus-
sern Wirklichkeit hervorbricht. Sondern nun ein un-
sichtbarer und unbemerkter Geiſt, durchschleicht sie
die edeln Theile durch und durch, und hat sich bald
aller Eingeweide und Glieder des bewuſstlosen Götzen
gründlich bemächtigt, und „an einem schönen Morgen
gibt sie mit dem Ellbogen dem Kameraden einen
Schubb und Bautz! Baradautz! der Götze liegt am Bo-
den.“ — An einem schönen Morgen, deſſen Mittag nicht
blutig ist, wenn die Anſteckung alle Organe des gei-
ſtigen Lebens durchdrungen hat; nur das Gedächt-
niſs bewahrt dann noch als eine, man weiſs nicht
wie, vergangene Geschichte, die todte Weise der vo-
rigen Geſtalt des Geiſtes auf; und die neue für die
Anbetung erhöhte Schlange der Weisheit hat auf dieſe
Weiſe nur eine welke Haut schmerzlos abgeſtreifft.

Aber dieses ſtumme Fortweben des Geiſtes im
einfachen Innern seiner Subſtanz, der sich sein Thun
verbirgt, ist nur Eine Seite der Realisirung der rei-
nen Einsicht. Ihre Verbreitung beſteht nicht nur
darin, daſs Gleiches mit Gleichem zusammengeht;
und ihre Verwirklichung ist nicht nur eine gegen-
satzlose Ausdehnung. Sondern das Thun des nega-

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[493/0602] vereinzelnten Aeuſſerungen zurückdrängen und die oberflächlichen Symptome dämpfen. Es ist ihr diſs höchst vortheilhafft; denn sie vergeudet nun nicht unnütz die Krafft, noch zeigt sie sich ihres Wesens unwürdig, was dann der Fall ist, wenn sie in Symp- tome und einzelne Eruptionen gegen den Inhalt des Glaubens und gegen den Zuſammenhang seiner äus- sern Wirklichkeit hervorbricht. Sondern nun ein un- sichtbarer und unbemerkter Geiſt, durchschleicht sie die edeln Theile durch und durch, und hat sich bald aller Eingeweide und Glieder des bewuſstlosen Götzen gründlich bemächtigt, und „an einem schönen Morgen gibt sie mit dem Ellbogen dem Kameraden einen Schubb und Bautz! Baradautz! der Götze liegt am Bo- den.“ — An einem schönen Morgen, deſſen Mittag nicht blutig ist, wenn die Anſteckung alle Organe des gei- ſtigen Lebens durchdrungen hat; nur das Gedächt- niſs bewahrt dann noch als eine, man weiſs nicht wie, vergangene Geschichte, die todte Weise der vo- rigen Geſtalt des Geiſtes auf; und die neue für die Anbetung erhöhte Schlange der Weisheit hat auf dieſe Weiſe nur eine welke Haut schmerzlos abgeſtreifft. Aber dieses ſtumme Fortweben des Geiſtes im einfachen Innern seiner Subſtanz, der sich sein Thun verbirgt, ist nur Eine Seite der Realisirung der rei- nen Einsicht. Ihre Verbreitung beſteht nicht nur darin, daſs Gleiches mit Gleichem zusammengeht; und ihre Verwirklichung ist nicht nur eine gegen- satzlose Ausdehnung. Sondern das Thun des nega-

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Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/602>, abgerufen am 22.11.2024.